Sicherheit und Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln (1)

Zugegeben, es ist für die Medien nicht immer leicht, ein komplexes Thema in aller Kürze fachlich richtig darzustellen. Und wenn es dann um so schwierige Themen wie Vitalstoffe geht, wird es doppelt und dreifach schwer, weil die Redakteure in aller Regel nun mal keine Biochemiker sind. Da liegt es nahe, dass man dann gern bei solchen Informationen „zugreift“, die dem Redakteur fertig aufbereitet auf den Tisch gelegt werden. Wenn diese vorgefertigten Informationen dann auch noch in das passen, was ein Zeitungsmacher täglich braucht - die Sensation - dann übernimmt man schon mal ungeprüft das, was einem serviert wurde. Diese „Vereinfacher“ in den Redaktionen produzieren dann Nachrichten, die an der Wahrheit vorbeigehen. Sie betonen das Kritische und lassen das Positive weg. Das hat Methode und gilt ja, wie Sie bereits wissen,  nicht nur für Nahrungsergänzungsmittel.

Wir haben uns die jüngsten Meldungen zu Vitaminen & Co. genauer angesehen und möchten Ihnen mit unseren Informationen aufzeigen, dass ein Blick hinter die Kulissen oftmals zu ganz anderen und überraschenden Erkenntnissen führt.

Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder ähnliche Versuche, Vitalstoffe als nutzlos und schädlich zu bezeichnen. Diese früheren Informationen haben wir auch in der Vergangenheit kommentiert:

Hier finden Sie eine kleine Auswahl von Links zu früheren Veröffentlichungen diesem Thema:

Vitamine produzieren doch nur teuren Urin! Richtig??
Bewertung medizinischer Therapieverfahren: Wie wertvoll sind Meta-Analysen wirklich?
Neuere Studien rehabilitieren Antioxidantien

Heute bekommen Sie Teil 1 unserer Informationen. An Teil 2 arbeiten wir noch.

Von interessierten Kreisen publiziert

Von interessierten Kreisen wird aktuell die Publikation Mursu et al., Dietary Supplements and Mortality Rate in Older Women, Arch Intern Med. 2011;171(18):1625-1633 mit angeblich belegten Risiken für Vitamine und Mineralstoffe publiziert.

Bei detaillierter wissenschaftlicher und juristischer Analyse zeigt sich jedoch schnell, dass die Studie wesentlichen wissenschaftlichen Standards nicht entspricht und keinesfalls entsprechende Risiken der Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen bei älteren Frauen belegt. Im Gegenteil: In der Studie wird für einige Vitalstoffe sogar eine positive Wirkung ermittelt.

Die in Deutschland in Nahrungsergänzungsmitteln und diätetischen Lebensmitteln üblicherweise eingesetzten und zulässigen Dosierungen an Vitaminen und Mineralstoffen begründen kein erhöhtes Sterberisiko, sondern sind gerade für viele Senioren eine sinnvolle Gesundheitsunterstützung.

Die Aussagen der EFSA

EFSA - European Food Safety Authority
Logo der EFSA - Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit

Die in Europa für die Bewertung der Sicherheit von Lebensmitteln zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat erst vor kurzem die Wirksamkeit und Sicherheit von Vitaminen und Mineralstoffen, unter anderem auch von Nahrungsergänzungsmitteln, intensiv geprüft und positiv bestätigt.

Vor diesem Hintergrund ist nicht überraschend, dass die nun erfolgte Publikation von Mursu et al., Dietary Supplements and Mortality Rate in Older Women, erheblicher Kritik in der Wissenschaft ausgesetzt ist.

Die Grundlagen der Publikation von Mursu et al.

Die Publikation von Mursu et al. bezieht sich auf Untersuchungen an 38.772 älteren Seniorinnen in der so genannten Iowa Women’s Health Study. Das durchschnittliche Alter der Seniorinnen war 61,6 Jahre. Die Untersuchung erfolgte nicht anhand von objektiven und gemessenen Parametern, sondern basierte auf subjektiven Befragungen zu Erinnerungswerten der älteren Seniorinnen in den Jahren 1996, 1997 und 2004.

Festzuhalten ist somit, dass die Veröffentlichung sich allein darauf bezieht, dass man innerhalb eines Zeitraums von 18 Jahren älteren Senioren, beginnend ab einem Alter von 61,6 Jahren drei Mal einen Fragebogen zuschickte und die Senioren bat, sich zu erinnern, welche Vitamine und Mineralien die Probanden zu sich genommen hätten. Aus den eingesetzten Fragebögen glauben dann die Autoren der Studie gewisse Schlüsse ziehen zu können. 

Insbesondere wird von den Autoren der Studie und nachfolgenden Medienpublikationen der Eindruck erweckt, dass sich aus der Untersuchung ergäbe, dass die Einnahme von Multivitaminen das Mortalitätsrisiko älterer Frauen erhöhe.

Allerdings leidet die Publikation an zahlreichen fachwissenschaftlichen Mängeln, so dass sie keine validen wissenschaftlichen Ergebnisse zu liefern vermag:

Das Primärziel der Untersuchung

Primäres Ziel der Untersuchung war es, den Einfluss der Ernährung und Lifestyle-Faktoren auf chronische Erkrankungen zu überprüfen. Primäres Ziel der Studie war dagegen nicht, festzustellen, inwiefern bestimmte Vitamine und Mineralstoffe das Mortalitätsrisiko älterer Seniorinnen beeinflussen kann. Es ist jedoch in der Wissenschaft allgemein anerkannt, dass eine klinische Studie nur im Hinblick auf den primären Endpunkt der klinischen Studie wissenschaftliche Aussagekraft haben kann und nicht auf im Nachhinein neu formulierte Beobachtungen, die jedoch nicht ursprünglicher Gegenstand der Untersuchungen waren.

Bemerkungen zur „Unwissenschaftlichkeit“ von Studieninterpretationen

  • Die Autoren der Studie nutzen somit Studieninterpretationen zu einer Bewertung von Fragen, die nicht primäres Studienergebnis gewesen sind. Dies widerspricht elementaren wissenschaftlichen Grundsätzen und wird in der Wissenschaftslehre allgemein nicht anerkannt.
  • Die Studie bezieht sich allein auf Erinnerungswerte älterer Seniorinnen, die in einem Zeitraum von 18 Jahren lediglich drei Mal Erfahrungsbögen ausfüllen mussten, welche Vitamine und Mineralstoffe sie in diesem langen Zeitraum eingenommen haben sollten.
  • Die objektive Überprüfbarkeit dieser subjektiven Erinnerungen liegt nicht vor.
  • Dr. David Brownstein, Medizinischer Direktor des Center for Holistic Medicine, West Bloomfield, USA, erklärte hierzu in einem Interview: „Diese Untersuchung sagt absolut nichts über Vitamine aus. Wäre diese Studie umgekehrt zu dem Schluss gekommen, Vitamine seien sehr wirksam, hätten alle Fachzeitschriften die Veröffentlichung dieser Untersuchung mit der Begründung verweigert, sie sei sehr schlecht gemacht und zu fehlerhaft.“.
  • Robert G. Smith, Research Associate Professor der Pennsylvania Universität, Department für Neurowissenschaften verweist zudem darauf, dass im Volltext der Untersuchung berichtet werde, dass der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln, bestehend aus Vitamin B Komplex, Vitamin C, D, E sowie Calcium und Magnesium sogar mit einer leichten Senkung des Mortalitätsrisikos festgestellt wurden. Dies wird jedoch im Abstract der Publikation ebenso wenig erwähnt wie in den Publikationen der Medien. Die pauschale Behauptung, dass die Supplementierung mit Vitaminen und Mineralstoffen die Mortalitätsrate bei den älteren Senioren erhöht, ist somit selbst von dieser Untersuchung mit all ihren Schwächen nicht gedeckt.

Fehlender Bezug zu Dosierungen

In der Untersuchung werden auch keine Feststellungen darüber erhoben, welche Vitamine und Mineralstoffe in welcher Dosierung tatsächlich von den Probandinnen eingenommen wurden.

Keine Beziehungen zu Erkrankungen oder Behandlungen mit Medikamenten

Zudem wird unzureichend berücksichtigt, dass manche der Probandinnen über den gesamten Zeitraum oder teilweise stark oder weniger stark geraucht haben, Alkohol getrunken haben, Herz-Kreislauferkrankungen, Karzinome etc. aufweisen. Nicht alle solche medizinischen Risikofaktoren wurden in den Studienergebnissen angemessen berücksichtigt und bereinigt.

Auch hat die Studie nicht berücksichtigt, ob die Probandinnen Präparate unter ärztlicher Betreuung oder nach ärztlicher Empfehlung verwendet haben. Ebenfalls wird nicht berücksichtigt, welche Lebensmittel und Arzneimittel die Probanden sonst eingenommen haben.

Es ist unstreitig, dass Senioren in höherem Alter eine Vielzahl von pharmakologisch wirkenden Arzneimitteln einnehmen mit intensiven Nebenwirkungen.

Es ist aber auch offensichtlich, dass über die Effekte der über 18 Jahre verzehrten Vitamine und Mineralstoffe keine seriöse, wissenschaftlich nachvollziehbare Aussage getroffen werden kann, wenn nicht festgestellt wird, welche Arzneimittel und sonstigen Produkte mit möglichen Nebenwirkungen die Probanden in den 18 Jahren eingenommen haben, die zu einer erhöhten Mortalität geführt haben könnten.

Robert G. Smith kommt deshalb zu folgendem Schluss

In einer Observationsstudie an älteren gesunden Frauen wird gesagt, dass unter denen, die verstarben, der Anteil derer größer ist, die Multivitamin- oder Mikronährstoffsupplemente genommen haben. Der Unterschied war jedoch nur sehr gering und gibt keinen Hinweis auf mögliche Gründe für Erkrankung oder Tod.

Welche Krankheiten gab es? Welche Medikamente wurden genommen? Es bleiben einfach viel zu viele ungeklärte Fragen offen, um diese Aussagen wissenschaftlich sauber treffen zu können.

Mike Adams: Medienlügen bloßgestellt

Auch der von mir besonders geschätzte Mike Adams hat sich die Studie genauer angeschaut. Die ganze Studie, nicht nur das Abstract.

In der Publikation von Mike Adams „Medienlügen bloßgestellt: Jüngste Kritik an Vitaminen sind manipulierte Angstmache“ heißt es ergänzend:

„Eine der eklatantesten Verfälschungen dieser Studie betrifft die Veränderung der Rohdaten, wobei man sich statistischer Manipulationstechnik bedient. In der zweiten Tabelle der Untersuchung beschreiben die Autoren einen so genannten „Gefährdungswert“, der für jedes Nahrungsergänzungsmittel, das in der Studie untersucht wurde, wie die Vitamine C und B, Calcium, Kupfer, Eisen usw. berechnet und ihm dann zugeordnet wird. Auch der Kategorie „Multivitamine“ wurde ein solcher Wert zugeordnet. Bei diesen Zahlen bedeutet 1.0 eine neutrale Wirkung, d. h. »kein Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeit (oder Mortalität)«. Ein Wert unter 1.0 – beispielsweise 0,92 – verweist auf eine achtprozentige Verringerung der Sterbewahrscheinlichkeit, die mit einem bestimmten Vitamin in Zusammenhang gebracht wird. Entsprechend zeigt ein Wert höher als 1.0 einen Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeit. Ein Wert wie 1,15 bedeutet dann eine um 15 Prozent erhöhte Sterbewahrscheinlichkeit.

Warum werden positive Aspekte der Studie verschwiegen?

  • Der Vitamin-B-Komplex wurde mit einer siebenprozentigen Verringerung der Mortalität in Zusammenhang gebracht.
  • Vitamin C wurde mit einer vierprozentigen Verringerung der Mortalität in Zusammenhang gebracht.
  • Vitamin D wurde mit einer achtprozentigen Verringerung der Mortalität in Zusammenhang gebracht.
  • Magnesium, Selen und Zink wurden jeweils mit einer dreiprozentigen Verringerung der Mortalität in Zusammenhang gebracht.“.

Es ist unverständlich, dass weder von den Autoren der Studie, noch in den entsprechenden Medien und Publikationen auf diese positiven Effekte dieser Vitamine und Mineralstoffe überhaupt eingegangen wird. Dies stützt die Vermutung, dass es weniger um eine fachwissenschaftliche neutrale Dokumentation geht, sondern offenbar um eine gezielte Medienkampagne bestimmter Interessenkreise.

Ferner heißt es in der Publikation von Mike Adams wie folgt:

  • „Statistiken wurden manipuliert, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten
  • … In dieser Untersuchung benutzten sie die tatsächlichen Fragebogenergebnisse nicht als Grundlage ihrer Schlussfolgerungen. Sie begannen, die Zahlen zu „interpretieren“ und benutzten dabei statistische Manipulationen, um zu den Werten zu kommen, die sie für ihr schon vorgefasstes Urteil benötigten.
  • Wie sie selbst einräumen, rechneten sie aus den in den Fragebögen ermittelten Werten Faktoren wie „Alter, Bildungsniveau, Wohnort, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, den Body-Mass-Index (der berechnet wird, indem man das in Kilogramm gemessene Gewicht [in kg] durch das Quadrat der Körpergröße dividiert), das Verhältnis von Taille zu Hüfte, eine Hormonersatztherapie (HET), physische Aktivitäten, Raucher/Nichtraucher und Energieaufnahme“ heraus.

Halten wir hier einen Moment inne! Damit sagen sie, dass eine Person mit Diabetes eine höhere Sterbewahrscheinlichkeit aufweist. Wenn diese Person stirbt, bewerten sie das nicht so stark wie den Tod einer gesunden Person, stimmt’s?

Aber damit lassen sie vollkommen unberücksichtigt, dass Nährstoffe Diabetes zurückdrängen und die Symptome einer Diabetes völlig verschwinden lassen können. Dazu gehören etwa Nährstoffe wie Vitamin D, Magnesium und Vitamin C; alles Substanzen, die in der Studie untersucht wurden. Wenn also eine Frau zu Beginn der Studie an Diabetes litt, dann über die Aufnahme bestimmter Nährstoffe, ihre Diabetes weitgehend zurückdrängen konnte, und dann später nicht mehr als Diabetespatientin, aber doch statistisch früher als eine Person, die ihr ganzes Leben gesund war, stürbe, dann würde dies in der Untersuchung als Beweis für die schädliche Wirkung von Vitaminen bewertet. Ähnliches gilt für Bluthochdruck.

Weitere Veränderungen am Zahlenmaterial

Die Verfasser der Untersuchung „bearbeiteten“ das Zahlenmaterial nicht nur einmal, sondern veränderten die Ergebnisse ein zweites Mal. Diesmal nahmen die Autoren weitere sogenannte „multivariable Anpassungen“ vor, d.h. sie rechneten „störende Faktoren“ einfach heraus:

Diesmal wurden neben den schon bekannten Faktoren wie „Alter, Bildungsniveau, Wohnort, Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Body-Mass-Index, das Verhältnis von Taille zu Hüfte, Hormonersatztherapie (HET), physische Aktivitäten, Raucher/Nichtraucher und Energieaufnahme“, zusätzlich noch „Alkohol, gesättigte Fettsäuren, Vollkornprodukte, Obst und Gemüse“ berücksichtigt.

Jetzt rechneten sie sogar den Verzehr von Obst und Gemüse heraus? Das heißt aber doch, dass man bei einem Menschen, der größere Mengen an Obst und Gemüse zu sich nimmt, davon ausgeht, er sei gesünder als andere, und daher wurde das jeweilige Sterbealter, unabhängig davon, wie hoch es war, auf andere Faktoren wie etwa die Vitamine, die sie zu sich genommen hatten, zurückgeführt.

Tatsächlich wurden sämtliche Gewichtungsfaktoren bei diesen manipulierten Bereinigungen von den Verfassern der Studie selbst zusammengeschustert“.

Im Ergebnis zeigt sich, dass die so genannte Studie elementarsten wissenschaftlichen Standards nicht Stand hält.