Hippokrates: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“ (Teil 4)

Hippokrates: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“ (Teil 4)

Der letzte Brief zu unserer kleinen Serie endete mit einem Absatz „Die Unterschiede bei Studien mit Nährstoffen“. Heute möchte ich (im Teil 4) daran anknüpfen und weitere Bemerkungen zu Studien mit Vitaminen & Co. machen.

Ernährungswissenschaftler würden den Studien gut tun

Hier werden schon mal zwei ursächlich völlig verschiedene Sachen über den gleichen Kamm geschoren. Und als ob es nicht genug wäre, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Stoffgruppen handelt, werden beide Gruppen von den gleichen Wissenschaftlern untersucht. Die meisten Wissenschaftler, die Studien an Mikronährstoffen durchführen, haben auf dem Gebiet Mikronährstoffe überhaupt keine Erfahrung. Sie wissen zwar wie man eine Studie durchführt, aber sie applizieren die von ihnen aufgestellten Regeln, die für Medikamente gelten, auf eine Stoffgruppe, die völlig anders ist und sich auch völlig anders verhält! Noch nicht einmal die Studienergebnisse im Reagenzglas kann man vergleichen. Mikronährstoffe sind überall im Körper natürlicherweise vorhanden, an Tausenden von Stoffwechselvorgängen beteiligt. Von einem isolierten Stoffwechselgeschehen im Labor kann man nicht zwingend auf den Menschen schließen. Beim chemischen Medikament ist das anders, das gibt es im Körper nicht. Warum werden bei solchen Studien keine Ernährungswissenschaftler mit einbezogen? Menschen, die sich mit Ernährung auskennen und nicht mit chemischer Behandlung von Krankheiten. Bei Tests an Formel-1-Boliden würde sofort ein Aufschrei in der Fachpresse ertönen, wenn diese von  Landmaschinen-Mechanikern durchgeführt würden.

Die Probanden sind zu unterschiedlich

Auch die Probanden bringen nicht die gleichen Voraussetzungen mit. Bei der Erprobung eines Medikamentes kann man wenigstens sicher davon ausgehen, dass der Wirkstoff nur in der von der Dosis vorgegeben Menge im Körper vorhanden ist. Bei Mikronährstoffen bringt jeder Proband schon eine individuelle Verteilung mit. Das wird aber nicht berücksichtigt, genauso wenig wie eventuelle latente Mikronährstoff-Defizite. Die Probanden sollten auch keine Risikopatienten sein, also Menschen, die auf Grund ihrer Lebensweise oder bereits vorhandener Krankheiten statistisch gesehen sowieso eine große Chance haben chronisch zu erkranken und/oder früher zu sterben, weil sie bereits über viele Jahre Nährstoff-Mängel entwickelt haben.

Außerdem wird in den meisten Studien immer nur eine Überdosis eines ganz bestimmten Vitamins untersucht. Eine Situation, die im normalen Leben überhaupt nicht vorkommt. Die Ärzte wissen mittlerweile, dass die Entstehung der meisten Krankheiten multifaktoriell ist, d.h. es sind immer viele Faktoren nötig, damit Krankheit entsteht.  Durch Rauchen kann Krebs entstehen. Viele Raucher bekommen Krebs, aber nicht alle!

Es wird auch nicht berücksichtigt, dass dadurch das Gleichgewicht der Mikronährstoffe untereinander gestört wird und gerade deshalb Krankheiten entstehen können. Nicht die Überdosis lässt die Krankheit entstehen, sondern das durch die Überdosis provozierte Ungleichgewicht: Der Mangel an anderen Vitalstoffen, der durch die einseitige Gabe hoher Dosierungen entsteht. Würde man die anderen Mikronährstoffe in der Dosierung anpassen, und dadurch wieder das Mengen-Verhältnis der Nahrung erreichen, würde wahrscheinlich kaum etwas passieren. Wenn aber, wie etwa in der berühmt-berüchtigten CARET-Studie ein Mikronährstoff als (angeblich) schädlich eingestuft wird, dann gehen die gleichen „Wissenschaftler“ sehr schnell dazu über auf alle Mikronährstoffe zu verallgemeinern.

Das ist nicht sehr professionell!

Zu den Studien an Medikamenten sei noch erwähnt: Die Probanden sind alle männlich, obwohl man heute schon Lehrstühle für Gender-Medizin hat. Das ist die internationale Fachbezeichnung für Humanmedizin unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Man weiß also ganz genau, dass Mann nicht genauso reagiert wie Frau! Außerdem gibt es für jedes zugelassene Medikament noch eine Phase der Studie, die einige Jahre dauern kann. In dieser Zeit sind die Ärzte, die das Medikament  verordnen, angehalten ihre Erfahrungen zu berichten. Dieses Kontrollinstrument hat man bei allen Studien mit Vitaminen weggelassen.

Das führt dann im ungünstigsten Fall dazu, dass Medikamente nach ein paar Jahren wieder vom Markt genommen werden, weil sie zu viel Schaden anrichten.  Ein Beispiel dafür ist der selektive COX-2-Hemmer Vioxx. Vioxx diente zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen und Schmerzen. In einer zweiten Studie, die mit diesem Medikament gemacht wurde (um weitere tolle Eigenschaften zu entdecken) zeigte sich nach 18 Monaten eine nahezu verdoppelte Rate an Herz-Kreislauferkrankung, die dann zum unverzüglichen Abbruch der Studie und der Rücknahme des Medikamentes vom Markt geführt hatte. Jetzt kann man sagen, dass die Behörden da richtig und schnell reagiert haben, um größeren Schaden zu verhindern – hätte diese Tatsache nicht von Anfang an im Beipackzettel gestanden. 

Da wird also ein Medikament zugelassen zur „Heilung“ des Patienten, von dem man schon von Anfang an wusste, dass es schädlich ist.  Ein Mikronährstoff, der natürlicherweise in jedem Körper schon vorhanden ist und eventuell in einer völlig absurden Untersuchungssituation schädlich sein könnte, wird aber als potentiell schädlicher eingestuft und sicherheitshalber gleich die ganze Zunft mit verbannt.

Absurd! Aber man konnte ja eh nicht viel damit verdienen

Für normal dosierte Präparate (im Rahmen des bis zum 3 fachen der Empfehlung) bestehen keinerlei Risiken. Es gibt keine Studie, die hier einen negativen Effekt bei Normaldosis gezeigt hätte. Allerdings ist es wichtig zu wissen, dass man mit Vitaminpräparaten eine ungesunde Ernährung nicht kompensieren kann. Aber man kann, wie der Name schon sagt, die Ernährung ergänzen. Wie z.B. im Winter, bei Krankheit, Stress, im Alter, bei vorübergehender Einschränkung der Nahrungszufuhr (Diäten) oder anderen Situationen, die eine erhöhte Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen fordern!  Natürlich argumentiert die Mutter richtig, die es vorzieht ihren Kindern statt der Vitaminpillen frisch gepresste Säfte zu geben. Das sollte sie allerdings sowieso tun, auch wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Nur Kinder sind im Wachstum und das ist eigentlich schon ein besonderer Umstand. Wenn sich dann noch Krankheit, Infektanfälligkeit oder Stress dazu gesellen, dann können schon mal ganz besondere Umstände vorliegen. Das kann man zwar theoretisch immer noch mit frischgepressten Säften kompensieren, aber irgendwann sagt das Kind mal NEIN, wenn die Anzahl der Saftgläser eine bestimmte Quantität erreicht. Und Gemüsesäfte trinken Kinder eher nicht. Kinder lehnen auch gerne mal bestimmte Nahrungsmittel ab, weil sie entweder nicht schmecken oder komisch aussehen oder weil andere sie auch nicht essen, etc. Im Gegenzug entsteht bei manchen Kindern eine regelrechte einseitige Vorliebe für gewisse Produkte, die von den Medien propagiert werden. Diese Kinder trinken garantiert auch keine frisch gepressten Säfte! Was machen Sie dann?

Bei älteren Menschen ist das genauso.

Im Alter isst man schon physiologisch bedingt weniger, man verbrennt ja auch weniger. Als Folge nimmt man, auch bei der gesündesten und ausgewogensten Ernährung, weniger Vitamine und Mineralien zu sich. Ideal wäre natürlich eine Kompensation mit frisch gepressten Gemüse – und Fruchtsäften, aber welcher alte Mensch trinkt schon ausreichend Wasser, geschweige denn Säfte? Und fragen Sie sich selber: Essen Sie fünfmal am Tag Obst und Gemüse? Das sind etwa 600 g, jeden Tag. Selbst die gesundheitsbewusstesten unter uns erreichen kaum diese Menge. Statistisch gesehen erreichen wir Deutschen nicht einmal die Hälfte! Dazu kommt, dass unser heutiges Obst und Gemüse im Laufe der Jahre viele wichtige Vitamine, Mineralien und Nährstoffe verloren hat. Sieht zwar gut und gesund aus, hat aber fast nichts drin. Wenn wir uns auf Dauer nur „frisch“ ernähren, riskieren wir eine Vitamin- und Mineralstoff-Unterversorgung. Die Supplementierung mit Nahrungsergänzungsmitteln hat dabei noch den absoluten Vorteil, dass wir in dem Fall genau wissen was drin ist.

Das ist bei der Supermarktware nicht immer so!

In unseren Essgewohnheiten tendieren wir außerdem zur Einseitigkeit. Viele essen tendenziell immer das gleiche, zumal von Montags bis Freitag, wenn während der Arbeit keine Möglichkeit und nach der Arbeit nicht viel Zeit zum Kochen ist.

Im Vergleich zu unseren Vorfahren vor hundert Jahren essen wir heute 70 Prozent weniger Getreide und sogar 75 Prozent weniger Ballaststoffe. Dagegen hat sich der Fleischkonsum verfünffacht. In Japan, wo traditionell wenige der bei uns üblichen Lebensmittel verzehrt werden, ist Darmkrebs äußerst selten. Passen Japaner ihre Essgewohnheiten dem westlichen Muster an, steigt auch ihr Risiko.

Zu den pharmakologischen Wirksubstanzen in Getreide, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten gibt es derzeit noch keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse. Forscher wie Professor Dr. Hans Konrad Biesalski von der Universität Stuttgart-Hohenheim gehen sogar so weit, die Vitamine C und E sowie Ballaststoffe lediglich als Biomarker für Obst und Gemüse zu bezeichnen. „Jede Form der einseitigen Ernährung ist ungesund. Wer nur noch Gemüse und gar kein tierisches Eiweiß zu sich nimmt, dem fehlen wichtige Proteine. Wer zu viel tierisches Eiweiß, aber zu wenig Gemüse isst, hat nicht nur ein höheres Risiko für Krebs, sondern auch für Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Störungen und eine Fettleber.“, sagt Biesalski und warnt davor, Ernährungsgewohnheiten nur auf einen Inhaltsstoff zu reduzieren. Für die Krebsprophylaxe hält er sogar den Slogan „Fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag“, der seit 1996 von der Deutschen Krebsgesellschaft propagiert wird, für zu einseitig.

Wie können Nahrungsmittel das Krebsrisiko beeinflussen?

Zum einen kann eine einseitige, schlechte Ernährung das Immunsystem schwächen und so die Selbstheilungskräfte des Körpers beeinträchtigen. Zum anderen können in Lebensmitteln oder Getränken selbst tumorauslösende oder -hemmende Substanzen stecken.

Auch scheinen Essgewohnheiten Folgen für Kinder und Kindeskinder zu haben. Erste Studien berichten davon, dass ungesundes Essen innerhalb von zwei Generationen die Gene beeinflusst. War der Großvater als Kind dick, steigt das Risiko der Enkelkinder, später an Diabetes zu erkranken. US-Forscher fanden heraus, dass nicht die aktuelle Einnahme von Multivitaminpräparaten das Darmkrebsrisiko verringert, sondern der über zehn Jahre zurückliegende regelmäßige Gebrauch von Multivitaminen einschließlich Folsäure hierfür verantwortlich sein kann. Besonders bei Männern wirkt sich die Einnahme von Vitamin D aus Multivitamin-Präparaten und aus Nahrungsmitteln positiv aus.

Es gibt genug Gründe, die für die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sprechen und es gibt mittlerweile auch immer mehr namhafte Wissenschaftler, die sich dafür aussprechen.  Aber speziell im TV finden Sie diese Berichte nicht. Ein Medium, das so ziemlich alle Bürger erreicht, warnt immer nur vor Nahrungsergänzungsmitteln.

Es könnte sich fast der Verdacht aufdrängen, dass man (wer immer das auch sein könnte) gar kein Interesse an einer gesunden Bevölkerung hat.

Bisherige Teile dieser kleinen Serie

Dieser heutige Gesundheitsbrief ist Teil 3 einer kleinen Serie. Hier finden Sie die bisher veröffentlichsten Briefe im Archiv:

Hippokrates: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“ (Teil 1)

Hippokrates: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“ (Teil 2)

Hippokrates: „Deine Nahrung soll deine Medizin sein“ (Teil 3)