Insbesondere unsere langjährigen Abonnenten wissen von mir, dass ich nicht gerade ein guter Freund der Pharmaindustrie bin. Seit vielen Jahren gibt es immer mal wieder einen kritischen Gesundheitsbrief von mir. Zusätzlich ist es wohl auch so, dass die deutschen Mainstream-Medien nicht gerade besonders pharmakritisch sind. Umso mehr verwundert derzeit die Zunahme kritischer Bemerkungen über die Preisgestaltung der Pharmas insbesondere bei Krebsmedikamenten.
Ich habe heute zwei Meldungen zu diesem Thema für Sie kopiert. Die erste Meldung ist der wörtliche Mitschnitt einer Sendung von Report Mainz, die zweite Meldung fand ich bei SPIEGEL online.
Beide Meldungen zeigen mir sehr deutlich, dass es unseren forschenden Pharmaunternehmen wohl nicht in erster Linie um das Wohl kranker Menschen geht. Oder darf ich das nicht so deutlich schreiben? Urteilen Sie selbst.
Unter Medizinern formiert sich Widerstand gegen die Preispolitik der Pharmakonzerne. In einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium kritisieren die Experten im SPIEGEL fragwürdige Krebsmittel, die jährlich bis zu 100.000 Euro pro Patient kosten.
Hamburg - Trotz des enorm hohen Preises sei der klinische Nutzen der fraglichen Arzneien nur geringfügig oder gar nicht zweifelsfrei belegt, kritisieren Onkologen und Gesundheitsökonomen in einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium. Mehr als ein Dutzend derartige Präparate - meist Antikörper oder Enzymhemmstoffe - werden schon heute verschrieben, bis zu 40 weitere könnten nach Expertenschätzung in den nächsten sechs Jahren Marktreife erlangen.
"Wir werden unser Gesundheitssystem nicht mehr finanzieren können, wenn wir das nicht in den Griff bekommen", sagte Wolf-Dieter Ludwig, Professor für Onkologie in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dem SPIEGEL.
Schon jetzt würden 25 Prozent des Arzneimittelbudgets der Krankenkassen durch Spezialpräparate aufgebraucht, obwohl diese nur rund zwei Prozent der Verschreibungen ausmachen. "Die meisten dieser Medikamente haben nur eine geringe Wirkung. Deshalb halte ich die Preise schlicht für obszön", sagte Ludwig.
Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom an der Universität Bremen, fordert eine neue Preispolitik: "Es kann nicht sein, dass die Hersteller die Preise für Medikamente diktieren, deren Nutzen noch gar nicht abschließend erwiesen ist."
Ludwig und Glaeske gehören zu den Verfassern des brisanten Gutachtens, das vorschlägt, den Preis eines neuen Medikaments künftig am Nutzen für den Patienten zu bemessen. Bisher können Pharmafirmen die Preise für innovative Produkte in Deutschland selbst festsetzen, die gesetzlichen Krankenkassen sind dann verpflichtet, diese zu zahlen.
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,694957,00.html
Es ist der wohl grausamste Krankheitsbefund: Krebs. Mehr als 400.000 Menschen im Jahr trifft es. Was dann folgt, ist ein schlimmes Wechselbad, mal Hoffnung, mal Verzweiflung.
Das aber ist nur die eine Seite der Krankheit. Die andere Seite lautet: Geld. Unsummen von Geld, denn am Krebs verdienen viele. Allen voran die Pharmaindustrie. Ständig bringt sie neue Medikamente auf den Markt. Aber halten die auch, was versprochen wird?
Ganz neu zum Beispiel dieses Arzneimittel mit dem Namen Avastin. Von dem heißt es, es verlängere beim Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium das Überleben. Thomas Dauser und Ulrich Neumann fragen nach: Stimmt das wirklich?
Bericht: Visite auf der Krebsstation im Berliner Helios-Klinikum. Chefarzt ist hier Professor Ludwig. Er ist einer der Krebsspezialisten Deutschlands und gleichzeitig Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Seine erste Patientin an diesem Tag – Eike Linnich. Seit einigen Jahren bekommt sie Krebsmedikamente.
O-Ton: „Mir geht es verhältnismäßig gut. Ich meine, wenn ich mich in die Hand von Fachleuten begebe, wenn ich das Vertrauen nicht habe und nicht den gewissen Glauben daran, dass sie mir helfen können, dann habe ich mich ja auch selbst aufgegeben.“
O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: „Bei dieser Patientin freuen wir uns natürlich, dass wir mit einem neuen Wirkstoff eine deutlich verbesserte Behandlungsmöglichkeit haben. Das ist aber derzeit leider die Ausnahme, und die meisten der neuen Wirkstoffe haben noch nicht bewiesen, dass sie für Krebspatienten einen wirklichen Zusatznutzen bringen.“
Neue Krebsmedikamente ohne Zusatznutzen? Wie kommt Professor Ludwig zu dieser Einschätzung? Wie groß sind die Erfolge tatsächlich?
Wir sind im Tumorregister München. Professor Hölzel wertet hier seit Jahrzehnten die Krebsdaten von 70 Krankenhäusern aus. Die Daten zeigen, wie lange Patienten beispielsweise mit fortgeschrittenem Brustkrebs überleben. Jede Farbe hier steht für einen bestimmten Zeitraum in den vergangenen 25 Jahren.
O-Ton, Prof. Dieter Hölzel, Tumorregister München: „Wenn in diesen 25 Jahren große Fortschritte erreicht worden wären, müssten diese sechs Kurven weit auseinander gehen, sodass wir zum Beispiel dann sagen könnten: Siehe da, im Vergleich zu 1980 haben wir jetzt die Überlebenszeiten um zwei Jahre verlängert. In Wirklichkeit sehen wir hier eine geringfügige Verbesserung, die in der Größenordnung von drei Monaten liegt.“
Auch bei anderen Krebsarten im fortgeschrittenen Stadium überleben nach den Daten von Professor Hölzel die Patienten trotz neuer Medikamente nur wenig länger. Im Kampf gegen den Tod überbieten sich die Pharmafirmen mit immer neuen Krebsmedikamenten. Ein Milliardengeschäft. Über 400 Mittel sind gerade in Erprobung. Ständig kommen neue auf den Markt. Aktuelles Beispiel: Avastin vom Schweizer Pharmariesen Roche. Avastin ist in Europa zugelassen zur Behandlung bei fortgeschrittenem Brustkrebs, wird in Kombination mit einem weiteren Mittel verabreicht. Die dazugehörige Studie wurde vor vier Wochen veröffentlicht. Sponsor der Studie – die Roche-Tochter Genentech.
Wie bewertet diese Avastin-Studie der Berliner Krebsspezialist Professor Ludwig als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: „Ich halte diese Studie für sehr problematisch. Sie zeigt, dass Avastin beim metastasierten Mammakarzinom, beim Brustkrebs, wirkt. Sie zeigt nicht, ob diese Kombination besser ist als die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten, die wir haben. Und sie zeigt auch, dass diese Kombination mit ernsten, für den Patienten sehr belastenden Nebenwirkungen verbunden ist, die wir Patienten mit dieser Erkrankung, in dieser Situation, gerne ersparen würden.“
Frage: Leben die Patienten dadurch länger?
O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: „Nein. Das zeigt diese Studie sehr deutlich: Ein Überlebensvorteil durch diese neue Kombination besteht nicht.“
Trotz mehrfacher Anfragen: kein Interview mit Roche. Nur eine schriftliche Antwort: Avastin bewirke die „beeindruckende Verlängerung des progressionsfreien Überlebens“. Hört sich gut an. Aber was bedeutet das?
Der Pharmakologe Professor Schönhöfer sagt, Avastin schiebt beim Brustkrebs einen Rückfall nur hinaus. Doch die Patienten leben insgesamt nicht länger. Seine Einschätzung:
O-Ton, Prof. Peter Schönhöfer, Mitherausgeber “arznei-telegramm”: „Die Studie ist eine Marketing-Studie, in der ein Thema, nämlich der Wiederkehr des Krebses wird verzögert, aufgeblasen wird, um die Tatsache, dass das Mittel dann aber nicht das Leben verlängert, zu übertünchen. Das ist eine Marketingstudie, damit das Mittel besser da steht.“
Um trotzdem behauptet Roche in Anzeigen, auch bei fortgeschrittenem Brustkrebs: Avastin verlängert das Überleben.
O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: „Ich empfinde diese Anzeige zu Avastin als unseriös. Es wird nicht nur suggeriert, es steht hier: Avastin first-line verlängert das Überleben. Und das trifft beim Mammakarzinom nicht zu.“
Aber viele Ärzte scheinen den Anzeigen zu vertrauen. Dabei ist Avastin teuer. Behandlungskosten pro Jahr: ca. 60.000 Euro und damit rund 20mal teurer als Standardtherapien beim Brustkrebs. Die Kaufmännische Krankenkasse hat für REPORT MAINZ nachgerechnet. Bei ihr sind in den vergangenen fünf Jahren die Kosten für Fertigarzneimittel zur Krebsbehandlung um 240 Prozent gestiegen – trotz deutlich sinkender Fallzahlen.
O-Ton, Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender KKH: „Das sind Steigerungen, wir haben heute im normalen Markt fünf bis sechs Prozent pro Jahr, und wenn man von dieser Größenordnung, von über 240 Prozent spricht, dann ist das exorbitant. Das heißt also letztendlich, hier kommt das zum Tragen, was wir immer wieder kritisieren: Die Pharmaindustrie kann nach völlig freien Marktmechanismen den Preis für Arzneimittel festsetzen.“
Und das nutzt die Pharmaindustrie aus. Denn im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern können Pharmafirmen in Deutschland ihre Preise selbst bestimmen.
O-Ton, Prof. Peter Schönhöfer, Mitherausgeber “arznei-telegramm”: „Die exorbitante Preissteigerung bei der Krebsmedikation steht im umgekehrten Verhältnis zur innovativen Leistung, die neue Krebstherapeutika erbringen. Hier klafft eine Schere auseinander. Die Preissteigerung steht in keinem Verhältnis zur Verbesserung der Therapie.“
Wie bei der KKH sind die Ausgaben für Medikamente zur Tumorbehandlung auch bundesweit hochgeschnellt – auf rund 1,4 Milliarden Euro. Das entspricht einer Zunahme in den vergangenen fünf Jahren um sogar 285 Prozent. Das ist die gravierendste Preisentwicklung bei Arzneimitteln.
O-Ton, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vors. Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft: „Man spricht im Zusammenhang mit den neuen Wirkstoffen in der Krebstherapie auch von der systemsprengenden Wirkung für die gesetzliche Krankenversicherung. Es wird sicherlich in den nächsten Jahren notwendig sein, hier neue Regularien einzuführen, weil sonst das Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar ist.“
Abmoderation Fritz Frey: Wie sagt Professor Ludwig am Ende unseres Beitrages: Die Kostenentwicklung entfalte systemsprengende Wirkung für die gesetzliche Krankenversicherung. Da müssen doch im Gesundheitsministerium alle Alarmglocken klingen.
Quelle: http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=2971658/1mh1f88/index.html