Resveratrol: Schlüssel für ein langes Leben? (2)

Im letzten Gesundheitsbrief erhielten Sie Teil 1 einer wissenschaftlichen Abhandlung zu Resveratrol. Heute bekommen Sie Teil 2 dieser Ausarbeitung.

Der Autor des Aufsatzes ist Bernd Kleine-Gunk.

Bernd Kleine-Gunk studierte Medizin in Essen. Nach der Facharztprüfung als Gynäkologe war er als Oberarzt am Marienhospital Altenessen tätig; seit 1994 ist er Chefarzt für Gynäkologie an der Euromed-Clinic in Fürth. Er erwarb die Zusatzbezeichnungen als Arzt für Ernährungsmedizin und für Osteologie. Dr. Kleine-Gunk ist Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Beirat des European Centre for Aging Research and Education (ECARE) und wissenschaftlicher Beirat der German Society of Anti Aging Medicine (GSAAM). Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat er mehrere Patientenratgeber sowie ein Fachbuch zu Anti-Aging verfasst.

Wirksam wie Kalorienrestriktion

Eine der vielfältigen Wirkungen von Resveratrol ist hoch spezifisch für diese Substanz und sorgt vor allem in der Anti-Aging-Medizin für Aufsehen. Resveratrol hat auf unterschiedliche Organismen die gleiche lebensverlängernde Wirkung wie eine anhaltende Kalorienrestriktion (Calorie restriction, CR). Es zählt somit zu den CR-Mimetika.

Die Kalorienrestriktion gehört zu den am längsten bekannten, am besten untersuchten und umfassend dokumentierten Therapieansätzen der Anti-Aging-Medizin. Bis heute ist sie die einzige interventionelle Maßnahme, für die experimentell eine tatsächliche Lebensverlängerung nachgewiesen werden konnte.

Bereits in den 1930er-Jahren berichte Clive McCay von Versuchen, wonach Laborratten, deren Nahrungsaufnahme um 30 Prozent reduziert wurde, eine um bis zu 50 Prozent verlängerte Lebenserwartung hatten (28). Diese Pionierarbeiten wurden seitdem mit unterschiedlichen Spezies, vom Fadenwurm bis zum Primaten, wiederholt und konnten den Effekt nahezu ausnahmslos für alle biologischen Organismen bestätigen.

Lange Zeit war nicht bekannt, auf welche Weise die Kalorienrestriktion lebensverlängernd wirkt. Der Mechanismus wurde erst in den letzten Jahren aufgeklärt. Im Wesentlichen besteht er in einer Form des »gene silencing«. Über die Induktion von Nicotinamid (NAD) bewirkt CR in erster Linie eine Aktivierung sogenannter Sirtuine (SIR). Unter deren Einfluss kommt es in der Zelle zu einer vermehrten DNA-Reparatur, wodurch die Einzelzelle länger überlebt. In der Folge verlängert sich die Lebensspanne des Organismus (29, 30). Dieser Mechanismus wurde zunächst an den klassischen Versuchsmodellen genetischer Forschung (Bäckerhefe, Fadenwurm, Taufliege) erforscht, ist allerdings nach neuesten Studien offensichtlich universell wirksam. Inzwischen wurde der Sirtuin-Mechanismus auch an Humanzellen nachgewiesen (31).

Vielversprechende Sirtuine

Sirtuine sind Histon-Deacetylasen (HDAC) der Klasse III, die Histonproteine über einen NAD+-abhängigen Mechanismus deacetylieren. Diese und andere posttranslationale Veränderungen an den Seitenketten einzelner Aminosäuren von Histonproteinen tragen dazu bei, die Aktivierung und Stilllegung von bestimmten Genabschnitten zu regulieren. Solche Kontrollmechanismen der Genexpression jenseits der DNA-Sequenz, die nicht verändert wird, werden als Epigenetik bezeichnet. Sirtuine können auch mit Nicht-Histonproteinen interagieren zum Beispiel dem Tumorsuppressor-Protein p53. Bislang kennt man etwa sieben Sirtuine, deren Bedeutung und Funktion intensiv erforscht werden. Inhibitoren der HDACs könnten eine neue Klasse von Antitumor-Wirkstoffen bilden, Regulatoren der Sirtuine könnten generelle Signaltransduktionswege und den Alterungsprozess beeinflussen.

Doch auch wenn das Modell auf den Menschen übertragbar wäre, liegt die weitaus höhere Hürde in der Umsetzung. In einer Zeit, in der die meisten Menschen Probleme haben, ihr Körpergewicht auch nur im oberen Normbereich zu halten, ist eine langfristige systematische Kalorienrestriktion um 30 Prozent wohl nur für eine asketisch gestimmte Minderheit eine tatsächliche Option.

Sehr früh begann daher die Suche nach sogenannten CR-Mimetika. Dies sind Substanzen, die die gleichen biochemischen Prozesse aktivieren wie eine Kalorienreduktion, ohne dass der Mensch eine andauernde Hungerdiät einhalten muss. Fündig geworden sind die Forscher beim Resveratrol. Insbesondere die Arbeitgruppe um D. Sinclair konnte nachweisen, dass das Molekül bei niederen Organismen die gleiche lebensverlängernde Wirkung zeigt wie eine hypokalorische Kost (32). Der Vorteil der Supplementierung lag zudem darin, dass diese im Gegensatz zum Untergewicht die Fertilität nicht reduzierte (33).

Zweifellos sind dies lediglich erste Ergebnisse, die in weiteren Untersuchungen an höheren Organismen überprüft werden müssen. Festzuhalten bleibt jedoch: Resveratrol ist die derzeit einzige Substanz, für die experimentell eine signifikante Lebensverlängerung nachgewiesen werden konnte.

Wichtig ist dabei natürlich, dass die gewonnene Lebensspanne auch gesunde Lebenszeit ist. Hierfür gibt es deutliche Anhaltspunkte. Danach geht eine Aktivierung des Sirtuin-Mechanismus nicht nur mit einer Verlängerung der Gesamtlebenszeit einher, sondern auch mit einer deutlichen Reduktion altersassoziierter Abbauvorgänge, insbesondere im Bereich der Neurodegeneration (34). Für Forscher und Anti-Aging-Mediziner wird Resveratrol somit mehr und mehr zu einer Schlüsselsubstanz für gesundes Altern.

Metabolisches Syndrom gebremst

Über eine weitere spektakuläre Wirkung von Resveratrol berichtete die Arbeitsgruppe von David A. Sinclair im November 2006 in Nature (35). In einer dreiarmigen Studie untersuchte sie die Lebenserwartung und den Gesundheitszustand von schlanken und adipösen Mäusen sowie von adipösen Mäusen, die zusätzlich Resveratrol bekamen.

Erwartungsgemäß erkrankten und verstarben die dicken Mäuse sehr viel schneller als die schlanken. In dem Kollektiv, in dem Resveratrol zugeführt wurde, erreichten sie jedoch das gleiche Alter wie die schlanken Nager und zwar ohne jegliches Zeichen eines metabolischen Syndroms. Die Autoren führen dies vor allem auf eine deutliche Verbesserung der Insulinsensitivität durch Resveratrol zurück (35). Die chronische Hyperinsulinämie mit einer sich daraus entwickelnden konsekutiven Insulinresistenz gilt inzwischen als der entscheidende pathogenetische Faktor in der Entwicklung des metabolischen Syndroms.

Zweifellos handelt es sich bei diesen Untersuchungen um erste Tierversuche, die durch weitere Studien abgesichert werden müssen. Nach Meinung der Autoren könnte die Verbesserung der Insulinresistenz durch Resveratrol völlig neue Perspektiven in der Therapie und Prävention Adipositas-assoziierter Erkrankungen eröffnen.

Zur Ergänzung: Lesen Sie auch den Gesundheitsbrief zum metabolischen Syndrom, den ich Ihnen schon vor einiger Zeit zugeschickt hatte.

Kernproblem Pharmakokinetik

Das Problem der Pharmakokinetik entpuppt sich immer mehr als Schlüsselfrage in der klinischen Anwendung von Resveratrol. Die höchst eindrucksvollen Effekte in vitro wurden mit sehr unterschiedlichen Dosierungen erzielt. Somit stellt sich natürlich die Frage, ob Resveratrol in vivo überhaupt in nennenswerter Weise resorbiert wird und an den jeweiligen Zielorten in ausreichender Konzentration ankommt.

Walle und Mitarbeiter konnten zeigen, dass Resveratrol nach peroraler Gabe vom Menschen gut aufgenommen, jedoch rasch metabolisiert wird. Bereits 30 Minuten nach Verabreichung lag nahezu die gesamte Menge in glukuronidierter oder konjugierter Form vor. Freies Resveratrol war nur noch in Spuren nachweisbar (36).

Zurzeit wird kontrovers diskutiert, ob nur das frei vorliegende Resveratrol oder auch die Metaboliten biologisch wirksam sind. Interessant sind Hinweise, dass die Sulfatierung durch andere Rotweinpolyphenole, zum Beispiel Quercetin, inhibiert wird (37). Dies könnte erklären, warum die relativ geringen Mengen von Resveratrol, die in einem bis zwei Gläsern Rotwein enthalten sind, dennoch positive gesundheitliche Effekte entfalten.

Um die CR-mimetische Wirkung des Resveratrols zu nutzen, reicht der Genuss von Rotwein nicht aus. Zudem schwankt die Konzentration des Polyphenols in verschiedenen Sorten je nach Traube, Terroir und Verarbeitung. Besonders Resveratrol-reicher Rotwein enthält etwa 10 mg pro Flasche (38). Rechnet man die von Sinclair in seinen Mausversuchen verwendeten Konzentrationen auf den Menschen hoch, müsste dieser täglich mindestens 120 mg aufnehmen. Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass dies mit Rotwein allein nicht zu bewerkstelligen ist. Entsprechend hoch konzentrierte Supplemente könnten daher durchaus sinnvoll sein. Da andere Rotweinpolyphenole wie Quercetin oder Catechin synergistische Wirkungen zum Resveratrol entfalten und dessen Metabolisierung positiv beeinflussen, sollten diese ebenfalls in den Präparaten enthalten sein.

Toxische Effekte stellen sich erst bei extrem hoher Dosierung ein. Im Rattenversuch wurden 300 mg/kg Körpergewicht verfüttert, ohne dass Nebenwirkungen auftraten. In Megadosen von 3000 mg/kg wurden unter anderem Fälle von Nierenschäden beobachtet. Der Acceptable Daily Intake (ADI) wurde mit 390 mg Resveratrol für einen 65 kg schweren Menschen errechnet (39).

Vom Wein zum Analogon

Seine vielfältigen und zum Teil sehr spezifischen Wirkungen auf die Gesundheit und die Lebenserwartung machen Resveratrol derzeit zu einer der interessantesten Substanzen im Phytobereich. Der Einsatz von Supplementen erscheint sinnvoll, denn nur so können dauerhaft hohe Dosen zugeführt werden, ohne alkoholtoxische Schäden befürchten zu müssen. Allerdings muss die Frage der Bioverfügbarkeit weiter geklärt werden. Erste Versuche, die spezifische Wirksamkeit von Resveratrol durch chemische Modifikation weiter zu erhöhen und somit neue, gegebenenfalls auch patentierbare Substanzen zu schaffen, laufen bereits in mehreren Forschungslabors.

Literatur

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