Seit einiger Zeit führen wir das Produkt Resveratrol. Schon im letzten Gesundheitsbrief hatte ich Ihnen darüber berichtet. Heute und im folgenden Brief schicke ich Ihnen ergänzend eine wissenschaftliche Abhandlung zu diesem Produkt.
Der Autor des Aufsatzes ist Bernd Kleine-Gunk.
Bernd Kleine-Gunk studierte Medizin in Essen. Nach der Facharztprüfung als Gynäkologe war er als Oberarzt am Marienhospital Altenessen tätig; seit 1994 ist er Chefarzt für Gynäkologie an der Euromed-Clinic in Fürth. Er erwarb die Zusatzbezeichnungen als Arzt für Ernährungsmedizin und für Osteologie. Dr. Kleine-Gunk ist Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Beirat des European Centre for Aging Research and Education (ECARE) und wissenschaftlicher Beirat der German Society of Anti Aging Medicine (GSAAM). Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat er mehrere Patientenratgeber sowie ein Fachbuch zu Anti-Aging verfasst.
Von Bernd Kleine-Gunk
Über kaum einen sekundären Pflanzenstoff wurde in den letzten Jahren so viel publiziert wie über Resveratrol. Das Antioxidans wirkt antiinflammatorisch und chemopräventiv. Herausragend ist aber eine sehr spezielle Eigenschaft: Es wirkt als CR-Mimetikum. Es täuscht dem Körper eine Kalorienrestriktion (CR) vor - die bisher einzige experimentell belegte Methode zur Lebensverlängerung.
Resveratrol gilt gemeinhin als »Wirkstoff des Rotweins«. Es kommt hauptsächlich in der Traubenschale und in geringeren Konzentrationen in den Traubenkernen, Stielen, Reben und Wurzeln des Weinstocks vor. Es lässt sich jedoch auch in einer Reihe weiterer Nahrungspflanzen wie Erdnüssen oder Maulbeeren nachweisen. Isoliert wurde es erstmals 1940 aus den Blättern der weißen Lilie. Den höchsten Gehalt hat der japanische Knöterich Polygonum cuspidatum. Diese Heilpflanze ist sowohl in der traditionellen japanischen Medizin unter dem Namen Ko-jo-kon als auch in der indischen Ayurveda-Medizin als Darakchasava verbreitet (1). Internationale Bekanntheit erlangte Resveratrol jedoch erst in den 1990er-Jahren, vor allem als mögliche Erklärung für das »Französische Paradoxon«(2).
Resveratrol gehört zur großen Gruppe der Polyphenole. Die genaue Bezeichnung der in der Weintraube vorliegenden wirksamen Form lautet Trans-3,4,5-trihydroxystilben. In der Tat gleicht die chemische Struktur von Resveratrol der des synthetischen Estrogens Diethylstilbestrol.
Biologisch wirkt das Molekül als Phytoalexin. Anders ausgedrückt: Resveratrol ist Bestandteil des pflanzeneigenen Immunsystems. Seine Hauptaufgabe ist der Schutz der Weintraube vor Pilz-, Bakterien- und Virusinfektionen sowie vor schädlichen Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung, Ozonbelastung und Toxinen (3). Bereits hieraus erklärt sich der zum Teil sehr unterschiedliche Gehalt an Resveratrol in verschiedenen Rotweinen. Hohe Konzentrationen finden sich vor allem in jenen Reben, deren Immunsystem stark gefordert wird. Da das Phytoalexin hauptsächlich als Fungizid wirkt, enthalten meist jene Trauben viel davon, die unterschiedlichen Witterungsbedingungen mit gelegentlichen Feuchtigkeitsperioden ausgesetzt sind. So enthält zum Beispiel eine Flasche (0,7 Liter) eines chilenischen Weins etwa 10 bis 12 mg. Rein »sonnenverwöhnte« Trauben bilden eher weniger Resveratrol.
Produktionstechnisch bedingt hat Rotwein in der Regel einen höheren Gehalt als Weißwein, da hier die Maische länger beim abgepressten Saft bleibt. Das Polyphenol löst sich gut in Alkohol; dies erklärt, warum Wein mehr davon enthält als Traubensaft.
Anfang der 1990er-Jahre berichteten Epidemiologen über eine außergewöhnliche Beobachtung. In Frankreich, vor allem im Süden des Landes, lag die Herzinfarktrate um rund 30 bis 40 Prozent niedriger als in vergleichbaren europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten. Und das, obwohl die Franzosen viel rauchen und eine eher cholesterolreiche Kost bevorzugen. Rasch war für dieses Phänomen ein prägnanter Begriff gefunden: das Französische Paradoxon (4). Und ebenso rasch wurde eine mögliche Erklärung präsentiert. Der hohe Rotweinkonsum der Franzosen wirke kardioprotektiv, insbesondere eine im Rotwein in hoher Konzentration vorliegende Substanz: das Resveratrol (5).
Nachfolgende Untersuchungen haben dessen zentrale Bedeutung als Erklärung für das Französische Paradoxon wieder etwas relativiert. In der Tat scheint es eher der Alkohol an sich zu sein, der eine gefäßprotektive Wirkung entfaltet. Große Kohortenstudien wie die von Klatsky konnten bei moderatem Alkoholkonsum eine Abnahme der kardiovaskulären Erkrankungen nachweisen und zwar unabhängig davon, welche Art von Alkohol konsumiert wurde (6). Auch die Copenhagen City Heart Study belegte die allgemein gefäßprotektiven Effekte des Alkohols, fand jedoch eine etwas geringere Gesamtmortalität der Weintrinker gegenüber den Biertrinkern (7).
Resveratrol bleibt dennoch interessant, wie eine in den letzten Jahren fast exponentiell zunehmende Zahl wissenschaftlicher Publikationen belegt. Mehr und mehr entpuppte sich die Substanz als eine »biologische Vielzweckwaffe« oder, wie es in einer amerikanischen Veröffentlichung hieß, als das »Schweizer Armeemesser der Natur« (8).
Polyphenole sind bekannt für ihre hohe antioxidative Potenz. Insbesondere die phenolischen Hydroxylgruppen besitzen ein hohes Redoxpotenzial, sind also ideale Radikalfänger. Auch für das Polyphenol Resveratrol wurde eine ausgeprägte antioxidative Wirksamkeit nachgewiesen. Ähnlich wie Coenzym Q10 dichtet es direkt an den Mitochondrien die sogenannten Protonenleaks ab und neutralisiert gleichzeitig reaktive Sauerstoffradikale (9). Darüber hinaus besitzt es offensichtlich die Fähigkeit, körpereigene antioxidative Enzymsysteme wie die Superoxiddismutase und einige Katalasen zu stimulieren (10).
Von besonderer Bedeutung für den Gefäßschutz ist die Fähigkeit eines Antioxidans, die Lipidperoxidation, namentlich die Oxidation von LDL-Cholesterol zu verhindern. Erst in seiner oxidierten Form wird LDL-Cholesterol in die Gefäßwand eingelagert, was wiederum die Makrophagen im Endothel aktiviert. Dies wird inzwischen als Initialprozess für die Ausbildung atheromatöser Plaques angesehen (11). Prooxidative Kupferionen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Als kupferbindender Chelator inhibiert Resveratrol in der Folge spezifisch die Cholesteroloxidation (12).
Auch die Aktivierung der Thrombozytenaggregation bei Plaqueruptur wird durch ROS stimuliert. Resveratrol wirkt somit hemmend auf die Plättchenaggregation. Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt seiner gefäßprotektiven Wirkung (13).
Die antioxidative Wirkung ist allerdings nicht nur für den Gefäßschutz von Bedeutung. Als besonders lipidreiches Organ leidet auch das Gehirn unter übermäßigem oxidativen Stress. Eine neuroprotektive Wirkung von Resveratrol, das die Blut-Hirn-Schranke überwindet, wurde in mehreren In-vivo-Studien an Ratten nachgewiesen (14). Neuere Arbeiten deuten sogar darauf hin, dass es direkt die Prozessierung von Beta-Amyloid, dem pathogenen Faktor der Alzheimer-Demenz, beschleunigt (15).
Neben der oxidativen Belastung wird seit einigen Jahren ein weiterer entscheidender Faktor für beschleunigt ablaufende Alterungsprozesse diskutiert: die chronisch niederschwellige Entzündung. Ohne Zweifel ist die Entzündungsreaktion ein wichtiger Abwehrmechanismus biologischer Organismen; damit verteidigen sich diese gegen diverse Krankheitserreger. Persistiert der Entzündungsprozess jedoch nach erfolgreicher Abwehr der Erreger, so begünstigt dies chronische und degenerative Erkrankungen. Eine Vielzahl von Studien hat in den letzten Jahren überzeugend dargelegt, welch wichtige Rolle die »silent inflammation« für die Pathogenese vieler Erkrankungen spielt, von der Arteriosklerose über die Neurodegeneration bis zur Karzinogenese (16, 17, 18).
Antiinflammatorische Therapieansätze bekommen somit immer größere Bedeutung. Auf pharmakologischem Gebiet galt die neue Generation der COX-2-Hemmer lange als vielversprechend. Inzwischen werden diese aufgrund zum Teil gravierender Nebenwirkungen wieder zurückhaltender betrachtet. Umso mehr rücken antiinflammatorisch wirksame Phytotherapeutika in den Fokus des Interesses.
Zu den Pflanzeninhaltsstoffen mit ausgeprägter antientzündlicher Wirkung zählt Resveratrol. Es hemmt direkt sowohl die Cyclooxigenase 2 (COX-2) als auch die intrinsische Stickstoffmonoxid-Synthetase (iNOS), zwei Schlüsselenzyme der Entzündungsreaktion (19, 20).
Der intrazelluläre Signalweg, der eine vermehrte Produktion proinflammatorischer Zytokine (Il-1, Il-6, TNF-α) bewirkt, führt über den nukleären Faktor kappa-b (NFκ-b). Dieser normalerweise als inaktives Dimer im Zytoplasma vorliegende Faktor kann durch viele Stimuli (UV-Strahlung, Bakterientoxine) aktiviert werden und wandert dann in den Zellkern, wo er die Genexpression unterschiedlicher Entzündungsenzyme induziert. NFκ-b wird zunehmend als die entscheidende Schaltstelle für die Verknüpfung oxidativer und inflammatorischer Prozesse verstanden. Resveratrol inhibiert in vitro die nukleäre Translokation von NFκ-b und unterbindet somit einen der wichtigsten Mechanismen in der Genese proinflammatorischer Mediatoren (21). Die vielfältigen positiven Wirkungen des Wein-Polyphenols auf sehr unterschiedliche Krankheitsbilder lassen sich zu einem nicht unerheblichen Teil mit seiner ausgeprägten antiinflammatorischen Wirkung erklären.
Bereits 1997 veröffentlichten Wissenschaftler in Science eine Arbeit, die nachwies, dass Resveratrol in Krebszellmodellen inhibitorische Effekte auf alle drei Stadien der Karzinogenese, Initiation, Promotion und Progression, ausübt (22). Seine antioxidativen und antiinflammatorischen Effekte tragen zur karzinoprotektiven Wirkung bei. Die oxidative Belastung ist bereits seit Langem als karzinogener Faktor bekannt. Nach neueren Arbeiten spielt jedoch auch die chronische Inflammation eine wichtige Rolle (23).
Die karzinoprotektiven Effekte von Resveratrol gehen allerdings noch weiter. In einer Reihe experimenteller Arbeiten zeigte es sich als potenter Apoptose-Induktor. Das Molekül besitzt die Fähigkeit, Zellen, also auch bereits existierende Krebszellen in den programmierten Zelltod zu zwingen (24, 25). Weitere Forschungen konzentrieren sich auf die Fähigkeit, bestimmte Karzinome gegenüber den Schadeffekten einer Chemo- oder Strahlentherapie zu sensibilisieren. Diese »Sensitizer«-Funktion könnte die Effektivität derartiger Therapien deutlich steigern und einer Resistenzentwicklung vorbeugen (26).
Während Resveratrol in Zellkulturen und im Tierversuch überzeugende Ergebnisse zeigte, stehen Humanstudien erst am Anfang. Eine Korrelation zwischen Rotweinkonsum und Krebshäufigkeit herzustellen, ist problematisch oder unmöglich, da der Resveratrol-Gehalt unterschiedlicher Rotweinsorten stark schwankt und im Rotwein weitere wirksame Polyphenole vorliegen. Nicht zuletzt hat der Alkohol auf verschiedene Krebsarten unterschiedliche, teils inhibitorische, teils promovierende Wirkungen.
Aussagekräftige Studien lassen sich daher lediglich mit Resveratrol-Supplementen ausführen. Einen Überblick über erste Studien zum Einsatz in der Prävention und Begleittherapie bei Krebserkrankungen gibt die Übersichtsarbeit von Aggarwal (27).