Zivilisationskrankheiten: Diabetes, Schlaganfall, Alzheimer

Mediziner analysieren die Krankheiten der Zukunft.

Wichtigster Befund: Immer mehr Menschen werden an der Zuckerkrankheit leiden - und daran sterben. Im Grunde kann Diabetes vermieden werden. Die richtige Ernährung kann dabei helfen. Warum nur nimmt die Zahl der Diabeteskranken permanent zu? Der folgende Aufsatz konstatiert leider auch nur die Tatsache an sich. Eine Lösung zeigt er auch nicht auf. Trotzdem dachte ich, ich sollte Ihnen die Nachricht zukommen lassen. Vielleicht hat jemand von Ihnen, liebe Leser, eine Idee, warum die Krankheit zunimmt und warum man als Naturheilkundler so wenig Diabetiker erreicht? Nach meiner Erfahrung verlassen sich mehr als 99 Prozent aller Diabetiker einzig auf die Insulingabe. In sehr vielen Fällen müsste das nicht sein.

Ein Artikel von Heike Jänz

Wenn Mediziner in die Zukunft blicken, erwartet der Laie meist kluge Gedanken über neue Therapien oder vielleicht auch fesselnde Visionen über die Ausrottung aller Krankheiten. Die Ergebnisse der medizinischen Zukunftsschau, die gestern in Berlin präsentiert wurde, drehen sich jedoch um eine ganz andere Frage: 100 führende Forschungsexperten Deutschlands aus Industrie und Wissenschaft beschäftigten sich erstmals in einer Umfrage mit dem Problem, an welchen Krankheiten die Menschen in Deutschland zukünftig leiden und sterben werden. Die Ergebnisse der vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Auftrag gegebenen Umfrage: Die Volkskrankheit Diabetes, die bislang noch an zehnter Stelle der Todesursachen steht, wird in der Zukunft deutlich mehr Menschen das Leben kosten. Und Herzkreislauferkrankungen, meinen drei von vier Experten, werden in Form von Herzinfarkten und Schlaganfällen ebenfalls deutlich häufiger werden. Auch Demenzerkrankungen seien aufgrund der Überalterung der Gesellschaft im Vormarsch: "Jeder dritte der über 90jährigen in Deutschland leidet heute an Alzheimer", berichtet Dieter Götte vom Pharmakonzern Sanofi-Aventis, der die Studienergebnisse vorstellte, "2050 werden voraussichtlich dreimal so viele 90jährige leben."

Die größte Gefahr geht nach Meinung der Forscher allerdings von der Blutzuckerkrankheit Diabetes aus. 69 Prozent der Experten, die zu zwei Dritteln öffentlichen Forschungseinrichtungen und zu einem Drittel der Industrie angehören, meinen, daß die Stoffwechselstörung bald zu den häufigsten Todesursachen zählen wird. "Diabetes ist die am meisten unterschätzte Krankheit", so Götte. In den letzten 50 Jahren sei die Zahl der Diabetiker um das 20fache angestiegen. "Heute leiden etwa sechs Millionen Menschen an Diabetes", so Götte. "Wir erwarten bis zum Jahr 2010 einen Anstieg um 50 Prozent, dann sind neun Millionen betroffen."

Grund für die pessimistische Einschätzung einer explosionsartigen Ausbreitung ist, daß immer mehr Menschen zu dick sind: Allein jedes fünfte Kind in Deutschland ist überwichtig, acht Prozent der Kinder leiden sogar unter Fettsucht. Übergewicht, falsche Ernährung und mangelnde Bewegung zählen aber zu den wichtigsten Risikofaktoren für den sogenannten Typ-2-Diabetes, der in vielen Fällen vermeidbar wäre. Er entsteht, weil die Körperzellen durch den dauerhaft zu hohen Blutzuckerspiegel nicht mehr auf das Hormon Insulin reagieren können. Diese Insulinresistenz tritt normalerweise erst im Alter auf, so daß man auch von Altersdiabetes spricht. Immer häufiger trifft diese Krankheit inzwischen aber auch übergewichtige Kinder. Im Gegensatz dazu ist der Typ-1-Diabetes weit häufiger genetisch bedingt, tritt schon im Jugendalter auf und entsteht wahrscheinlich durch eine Autoimmunreaktion des Körpers.

Der Typ-2-Diabetes verschlingt in Deutschland jährlich mehr als 27 Milliarden Euro Behandlungskosten, denn die Erkrankung hat schwerwiegende Folgen: Die Arterien verstopfen, die Nieren verlieren ihre Funktionstüchtigkeit, viele Patienten erblinden. Außerdem müssen jedes Jahr 36 000 Amputationen bei Diabetikern vorgenommen werden, weil die Durchblutung in Zehen, Fuß oder sogar im ganzen Bein versagt. Hinzu kommen jährlich etwa 13 Milliarden Euro durch Arbeitsausfälle, so Götte.

Während die besten Maßnahmen gegen den Typ-2-Diabetes - nämlich gesunde Ernährung, Bewegung und Gewichtsreduktion - noch immer vernachlässigt werden, fließen in Deutschland derzeit mehr als 80 Millionen Euro jährlich in die Entwicklung neuer Insuline und anderer Diabetes-Medikamente. "Forschung ist natürlich notwendig", meint Studienleiter Professor Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité die Entwicklung. "Viel wichtiger wäre aber, Präventionsprogramme und Aufklärungskampagnen finanziell zu unterstützen." Neben dem Diabetes werden weiterhin Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall, Infarkt oder Herzschwäche eine wichtige Rolle spielen. Das befürchtet knapp die Hälfte der befragten Experten. Diese Erkrankungen führen derzeit die Liste der Todesursachen laut Statistischem Bundesamt an: Im Jahr 2003 starben daran mehr als 250 000 Menschen. Ursachen sind insbesondere Bluthochdruck, Störungen im Fettstoffwechsel oder das Rauchen. "Bildung, Einkommen und Beruf spielen bei diesen Krankheiten eine große Rolle", erläutert Stefan Willich. "Denn je gebildeter ein Mensch ist, desto besser ernährt er sich, je mehr er verdient, desto mehr kann er auch für gutes Essen oder ein Sportstudio ausgeben."

Zuversichtlich sind die Experten jedoch, was die Fortschritte in der Therapie dieser Krankheiten angeht: 84 Prozent etwa glauben, daß sich die Behandlung von Herzinfarkten in den nächsten fünf Jahren deutlich verbessern wird. "Wir wissen inzwischen sehr viel über die Eigenschaften des Blutes, die Gerinnung und die Gefäße selbst, so daß wir auch unsere Therapien gezielter ansetzen können", meint Dieter Götte.

Die Demenzerkrankungen hingegen stellen nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Forschung weiterhin vor ein großes Problem: Während man zwar inzwischen weiß, daß der allmähliche Schwund von räumlicher und zeitlicher Orientierung durch Ablagerungen von Eiweißen im Gehirn entsteht, fehlt bislang eine heilende Arznei. Die heute erhältlichen Medikamente können den Krankheitsverlauf nur hinauszögern. Ein möglicher Ansatz ist eine Impfung, an der bereits mehrere Arbeitsgruppen arbeiten. 65 Prozent der an der Umfrage beteiligten Experten halten sogar einen Durchbruch in der Alzheimer-Therapie in den nächsten zwölf Jahren für möglich, während 35 Prozent nicht der Meinung waren, daß die Symptomatik relevant und dauerhaft verbessert werden könne. "Weltweit befinden sich in den Forschungslabors Hunderte von Substanzen mit unterschiedlichen Wirkprinzipien gegen Alzheimer in der Entwicklung", sagt Dieter Götte. "Sie können der Grundstein für den Therapieerfolg von morgen sein und die Lebensqualität von Millionen Patienten verbessern."

Infektionskrankheiten hingegen bedrohen auch Deutschland in Zukunft wieder stärker: Zwei Drittel der Forscher meinen, daß Tuberkulose auf dem Vormarsch ist, und ein Drittel fürchtet sogar, daß die Zahl der Malariafälle in Deutschland steigt, bedingt durch Reisen nach Afrika oder Asien. Zudem erwarten zwei Drittel der Befragten eine schwere Grippe-Epidemie in den kommenden fünf Jahren.

Diabetes

Diabetes mellitus bedeutet "honigsüßer Durchfluß", denn nicht nur im Blut, sondern auch im Urin befindet sich zuviel Zucker. Für den Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunreaktion gegen Zellen in der Bauchspeicheldrüse verantwortlich, so daß der Körper nicht ausreichend Insulin produziert. Beim Typ-2-Diabetes hingegen schüttet der Körper aufgrund der ständigen Überzuckerung so viel Insulin aus, daß die Zellen nicht mehr auf das Hormon reagieren. Heute leiden rund sechs Millionen an der Stoffwechselstörung, 2010 sollen es schon neun Millionen sein.

Schlaganfall

Schlaganfall ist der plötzliche Funktionsverlust von Teilen des Gehirns. Ursache ist in gut 80 Prozent der Fälle ein Hirninfarkt: Das Gewebe stirbt durch Sauerstoffunterversorgung ab, weil ein Blutgefäß verstopft ist. In einem Fünftel der Fälle von Schlaganfall ist ein Blutgefäß im Gehirn verletzt, so daß es zu einer Hirnblutung kommt. Das erhöht den Druck in dieser Hirnregion, zudem werden andere Areale unterversorgt. Jährlich erleiden in Deutschland etwa 165 000 Menschen einen Schlaganfall.

Alzheimer

Der Morbus Alzheimer ist eine Demenz-Erkrankung, bei der Nervenzellen im Gehirn absterben. Meist sind ältere Menschen betroffen, die zunehmend vergeßlich und verwirrt werden - sie verlieren die Kontrolle über sich und ihre Umwelt. Ursache sind Ablagerungen von Eiweiß, dem sogenannten Amyloid, im Gehirn. Im Endstadium der Erkrankung erkennen Betroffene häufig selbst nahe Verwandte nicht mehr. Derzeit sind schätzungsweise zwei Prozent aller 65jährigen an Alzheimer erkrankt, bei den über 90jährigen ist es bereits jeder dritte

Prävention erreicht die Falschen

DIE WELT: Die Diabetesfälle steigen an. Müßte jetzt mehr investiert werden in die Vorsorge?

Reinhard Busse: Ja, in die Vorsorge müßte mehr investiert werden. Aber es gibt kein Patentrezept dafür. Das liegt daran, daß es keine homogene Gruppe der Gefährdeten gibt. Ein Migrant aus der ehemaligen Sowjetunion kann ebenso Diabetes bekommen wie ein bewegungsfauler Rentner aus dem Ruhrgebiet. Das Problem bei der Prävention ist, daß man oft die, die es am nötigsten haben, nicht erreicht. Das liegt an mangelnder Bildung und geringem Einkommen. Mit Aufklärungsbroschüren kann ich nur die Menschen erreichen, die auch lesen. Bei Diabetes würde vielleicht Aufklärung auf der Straße helfen. Man muß stärker das Bewußtstein der Bevölkerung wandeln. Beim Rauchen ist das gelungen. Zuerst wurde in Flugzeugen, dann am Arbeitsplatz und jetzt sogar in Restaurants ein Rauchverbot eingeführt.

DIE WELT: Gibt es eine Nation, die durch Änderung ihres Lebenswandels etwas für die Gesundheit getan hat?

Busse: Die Finnen haben ihre Todesrate durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen fast halbiert. Während der Finne früher fünf Butterbrote am Tag verzehrte, ißt er heute weniger als eins.

DIE WELT: Sind die Deutschen kränker oder gesünder als andere Nationen?

Busse: Wir glauben immer, der Grieche sitzt nur unter dem Olivenbaum, muß nie zum Arzt gehen und wird steinalt. Das stimmt so nicht. Die Griechen haben eine geringere Lebenserwartung als die Deutschen. Wir werden im Schnitt 78,4 Jahre alt, die Griechen nur 78,1 Jahre. Niederländer und die Briten werden so alt wie wir, Dänen sterben hingegen früher (77,2 Jahre) - übrigens genau wie die Amerikaner. Im europäischen Vergleich liegen die Spanier (80,5 Jahre), die Schweizer (80,5 Jahre) und die Schweden (80,2 Jahre) vorne.

DIE WELT: Gibt es Unterschiede bei Krankheitshäufigkeiten?

Busse: Bei uns sterben 20 Prozent mehr Menschen an Diabetes als im Schnitt der EU-Länder und doppelt so viele wie in Finnland und Großbritannien. Auch bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen wir doppelt so hoch wie in Frankreich.

Mit Reinhard Busse vom Institut für Gesundheitswissenschaften an der TU Berlin sprach Tanja Kotlorz

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