Das üble Spiel mit Aromastoffen und unseren Geschmacksnerven

Heute bekommen Sie von mit Teil 1 einer kleinen Serie über Lebensmittelzusatzstoffe und Aromen. Da gibt es viel - sehr viel - zu schreiben. Ich werde versuchen, dieses Thema einigermaßen übersichtlich und so vollständig wie möglich zu beschreiben. Ergänzend dazu geben ich Ihnen ein paar Buchtipps, falls Sie sich internsiver mit dem Thema beschäftigen möchten.

Was sind Aromastoffe?

Aromen gelten rechtlich nicht als Zusatzstoffe und tragen daher auch keine E-Nummern. „Aroma“ muss jedoch auf der Zutatenliste eines Lebensmittels angegeben sein, allerdings braucht der Hersteller keine Auskunft darüber zu erteilen, ob es sich um künstliche, naturidentische oder künstliche Aromen handelt.

„Natürliches Aroma“ bedeutet nun beileibe nicht, dass beispielweise Erbeeraroma aus Erdbeeren stammt, sondern nur, dass das Aroma aus natürlichen Rohstoffen gewonnen wurde. Das können beispielsweise Holzspäne oder Schimmelpilze sein. Ja, Sie lesen richtig: Aus Holzspänen oder Schimmelpilzen gewonne Aromen gelten als natürlich. Natürliches Aroma wird also nicht aus der Natur sondern im Labor gewonnen. Es ist aber chemisch identisch mit einem natürlichen Aromastoff. Beispiel: Vanillin als naturidentisches Aroma für die Vanilleschote.

„Künstliches Aroma“ entsteht durch chemischen Zusammenbau in der Retorte (Synthese) und hat kein Vorbild in der Natur (Beispiel: Äthylvanillin).

Nur die Bezeichnung „Natürliches Erdbeeraroma“ oder „natürliches Vanillearoma“, also immer mit dem Herkunftszusatz versehen, bedeutet, dass das Aroma auch wirklich aus der Erdbeerfrucht oder der Vanilleschote gewonnen wurde. Diese „feinen“ Unterschiede sind sehr wichtig. Sie ahnen sicher schon, dass „natürliches Erdbeeraroma“ für den Hersteller - und damit für den Verbraucher - deutlich teurer ist als „natürliches Aroma“. Das hat Konsequenzen, auf die wir im Verlauf dieses Beitrags noch zu sprechen kommen.

Aromastoffe prägen unseren Geschmack von klein auf

Was uns schmeckt entscheiden Zunge und Nase. Beim Essen registrieren etwa 2000 Geschmacksknospen auf der Zunge süß, salzig, sauer, bitter und andere Geschmacksarten. Auch Düfte sind mitentscheidend für die Geschmackswahrnehmung, selbst Temperatur- und Tastempfinden, Farben und sogar Erinnerungen an frühere Mahlzeiten spielen bei der Geschmacksempfindung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Meine Frau hat vor einiger Zeit erstmals Biobutter gekauft, nachdem wir gelesen hatten, dass selbst Butter inzwischen nicht mehr wie früher hergestellt wird, sondern dass die Fette erst getrennt und danach wieder irgendwie neu zusammengesetzt werden. Nun, mein erster Kommentar: „Das schmeckt ja wieder wie Butter!“ Ich konnte mich wieder an den Buttergeschmack von früher erinnern. Übrigens war diese Biobutter viel gelber als die vergleichsweise „blassfarbige“ Butter, die wir bis zu diesem Zeitpunkt verwendet hatten. Ein ähnliches Erlebnis hatten wir auch bei anderen Lebensmitteln, wenn wir auf biologisch angebaute Produkte umgestiegen waren. Es schmeckte plötzlich anders und irgendwie schmeckte es plötzlich wie früher.

Die Gesetzeslage in der EU

Rund 2700 unterschiedliche Aromastoffe (das sind “natürliche“ oder „naturidentische“ Aromen) dürfen in der erweiterten EU verwendet werden und manche davon sind bei ersten Bewertungen negativ aufgefallen. Sie wurden nicht etwa sofort verboten, sondern sie sollen erst einmal weiter erforscht werden. Dazu gehört unter anderem das Fenchelaroma Methylengenol. Ein weiteres Beispiel für ein negativ aufgefallenes Aroma ist Allylhexanoat, ein möglicher Aromazusatz in Erdbeerjoghurt - oder hatten sie etwa geglaubt, dass im Erdbeerjoghurt zum Sonderpreis tatsächlich Erdbeeren verwendet werden?

Nur die in der EU zugelassenen 18 „künstlichen Aromen“ sind toxikologisch (auf ihre Giftigkeit hin) bewertet worden und nur diese untersuchten Aromen dürfen in geregelten und begrenzten Mengen den Lebensmitteln zugesetzt werden. Das bedeutet konkret, dass der Hersteller A im Produkt A eine bestimmte Menge verwenden darf. Der Hersteller B darf auch nur die gleiche maximale Menge im Produkt B einsetzen. Was aber – so stellt sich die Frage – geschieht im menschlichen Körper, wenn Sie als Verbraucher das Produkt A und zugleich das Produkt B essen? Ganz einfach, es addiert sich.

Und immer wieder mein wichtiger Hinweis: Bitte beachten Sie sehr genau die offiziellen Worte dieses „Begriffsverwirrspiels“. „Natürlich“ ist eben nicht aus der Natur – es ist nach meinem Verständnis eben doch „künstlich“. Wir wissen inzwischen, dass die Natur in den von ihr geschaffenen Stoffen auch „Informationen“ enthält, die in künstlichen Stoffen nicht vorkommen.

Für alle anderen Aromastoffe – das sind dann die „natürlichen“ oder die „naturidentischen“ Aromen - die „legt die Aromenverordnung fest, welche in den Töpfen der Lebensmittelindustrie landen dürfen.

Früher wusste man noch mit Kümmel, Lorbeer, Muskat, Pfeffer, Curry oder frischen Kräutern umzugehen und so ein Gericht mit charakteristischem Aroma und Geschmack zu würzen.

Wenn heute „Aroma“ auf der Zutatenliste eines Fertigprodukts steht, so ist das stets ein physikalisch, chemisch, gentechnisch oder biochemisch hergestellter Geschmacksstoff. Meist ist er synthetisiert (im Labor zusammengebraut) und wurde von Schimmelpilzen (Beispiel: Zitronensäure), von Bakterien oder anderen Mikroorganismen produziert, egal ob er nun im Fruchtjoghurt, in einer Tütensuppe oder irgendeinem anderen Fertigprodukt steckt.

Um den Unterschied zu echten Früchten, aus denen insgesamt etwa 300 verschiedene Aromastoffe duften, zu bemerken, muss man den echten Fruchtgeschmack noch kennen und außerdem muss man auch noch gute Geschmacksnerven haben. Es reichen demgegenüber einige wenige „Aromen“, um etwa im Joghurt den Eindruck von Erdbeere zu erwecken und dieser Eindruck ist zudem häufig intensiver, als er es mit ein paar echten Beeren sein könnte.

Kein Wunder also: Frisch Geerntetes und selbst Zubereitetes kann dabei ins Hintertreffen geraten.

Aromen binden Kunden

In Deutschland sind rund 20 Prozent aller Lebensmittel aromatisiert. 100 % umfasst auch Fleisch und Frischwaren. Nicht nur Fertigsuppen, Soßenpulver, Gulaschsuppe aus der Dose, Erbsen im Glas, Backmischungen, Kekse, Fischkonserven und Fertiggerichte enthalten Aromastoffe. Selbst Kakao bekommt als Getränkepulver zugesetzte Aromen zur Intensivierung des Geschmacks.

Die Gründe für die Aromatisierung

Wenn man frische Erdbeeren kauft, stellt man immer wieder fest, dass sie jedesmal ein klein wenig anders schmecken. Das gilt auch für Bananen, Ananas, Kirschen und die meisten anderen Früchte. Wenn unsere Lebensmittelindustrie nur frische Ware verwenden würde, würde ein Becher Joghurt heute anders schmecken als gestern und vielleicht würde er morgen „zufällig“ wieder so schmecken wie letzte Woche. Das ist aber für die „Marke“ nicht erwünscht. Da ist Konstanz gefordert, damit der Verbraucher nicht ständig nach dem Joghurt suchen muss, der ihm am besten schmeckt. Man will doch den Verbraucher „binden“, er soll immer wieder zum gleichen Kakaopulver, zur gleichen Zigarette, zum gleichen Joghurt und zur gleichen Tütensuppe greifen.

  • Aromen geben ein markentypisches Geschmacksprofil, dass die Kunden an ein Produkt bindet.
  • Aromastoffe sparen Kosten. Puddingpulver etwa mit echter Vanille anstelle von naturidentischem Vanillin (Sie erinnern sich: „naturidentisch“ wird „künstlich“ hergestellt!) wäre viel zu teuer, und das gilt auch für Blaubeeren und Erdbeeren in großen Mengen für den Fruchtjoghurt. Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt, woher die Molkerein als die Hersteller der Joghurts all die gewaltigen Mengen an Erdbeeren oder Blaubeeren beziehen? Sie wissen sicher genau wie ich, wie mühsam es ist, im Wald überhaupt Blaubeeren zu finden und noch viel mühsamer ist es, die Blaubeeren in ausreichenden Mengen zu pflücken.
  • Ein Fertiggericht soll immer gleich gut schmecken. Je nach Erntezeit und Qualität - und dabei spielt das Wetter ja auch noch eine gewichtige Rolle - ändert sich der Geschmack und die Zutaten. Damit das ausgeglichen wird und der Verbraucher stets seine Marke wiedererkennt, greift die Lebensmittelindustrie nach ausgleichenden Aromastoffen. Die „Marke“ verlangt den gleichbleibenden Geschmack. Mit Aromen kann man die schlechtere Qualität der Zutaten ganz wunderbar übertünchen. Und obendrein darf man die Aromastoffe auch noch „natürlich“ nennen.

Kinderlebensmittel und Aromen

Selbst (oder gerade?) vor Kinderlebensmitteln macht die Aromatisierung nicht halt. Von 244 Kinderprodukten, die das Forschungsinstitut für Kindererährung in Dortmund untersuchte, waren 80 % aromatisiert. Dazu gehörten alle Fruchtsaft-, Milchmisch- und Kakaogetränke. Selbst von den 62 untersuchten Nahrungsmitteln, die für Ein- bis Dreijährige deklariert waren, enthielten 11 Produkte solche Aromastoffe. Vanillin (das ist nicht die Vanille aus der Schote!) findet man gelegentlich schon im Milchbrei für Babys und in der der Flaschennahrung.

Babys und Kinder entwickeln Markenbewusstsein

Kinder, die mit aromatisierten Fertigprodukten groß werden, können mit selbst gefertigten Speisen wie Erdbeerquark, Naturjoghurt mit Früchten, Gulasch nach dem Hausrezept usw. häufig wenig anfangen, sie finden sie fad, denn ih natürliches Geschamcksempfinden wurde durch Superaromen verdorben.

Sie können – wenn sie nicht mühsam nach Lebensmitteln suchen wollen, in denen Aromen stecken – ganz einfach vorgehen: Die Aromen stecken in den Produkten, nach denen sich unser Nachwuchs die Finger leckt: Süßwaren, Creme- und Geleespeisen, Eiscreme, Kaugummi, Brausepulver, süße Getränke ...

Kommentare von Dr. Hans-Ulrich Grimm

Der promovierte Germanist, frühere Spiegel-Redakteur und Autor viel beachteter Bücher zum Thema Essen und Nahrungsmittel hat sich im Laufe der Jahre zu einem Spezialisten für Geschmacksverstärker und andere Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln entwickelt. In meiner nächsten Folge werde ich Ihnen einige seiner Kommentare zu unserem Thema zitieren.

Bücher von Dr. Hans-Ulrich Grimm

„Die Suppe lügt. Die schöne neue neue Welt des Essens“, Knaur, München 1999
„Der Bio-Bluff. Der schöne neue Traum vom natürlichen Essen“, Hirzel, Stuttgart 1998
„Aus Teufels Topf. Die neuen Risiken beim Essen“, Klett-Cotta, Stuttgart 1999 (Knaur, München 2001)