Aromastoffe und unsere Geschmacksnerven - Teil 3

Aromastoffe und unsere Geschmacksnerven - Teil 3

Heute bekommen Sie den letzten Teil meiner Informationen zu Aromastoffen. Ich schätze, Sie haben schon auf die Fortsetzung dieses Krimis gewartet?

Skandale sind das eine, der Umgang mit ihnen das andere. Sehen Sie hier gar kein Interesse bei der Politik, dass diese einhaken müsste?

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass Ernährung heutzutage keine große Rolle spielt in der Politik, dass man schon Krieg führen oder ganz bestimmte Themenfelder besetzen muss, wenn man als Politiker etwas werden will. Jedenfalls ist es so, dass es einer in der Politik nicht weit bringt, wenn er der ernährungspolitische Sprecher seiner Fraktion ist. Damit kommt man so gut wie nicht in die Tagesthemen oder das Heute Journal. Zumindest in Deutschland ist das so. In anderen Kulturnationen ist das noch etwas anderes.

In Italien etwa kümmert sich natürlich der Staatspräsident höchstselbst um den Zustand der Nudeln im Land. In Frankreich kümmert sich der Präsident höchstselbst um den Zustand des Brotes. Bei uns aber wird Kanzler entweder einer, der Saumagen isst oder Currywurst. Und da spielen die Themen eben nicht die Rolle, die ihnen eigentlich zustünde, weil es offensichtlich Wichtigeres gibt als Essen. In der Schweiz hat man da schon ein anderes Verhältnis zum Essen und zur Selbstversorgung. Da gibt es jetzt Bestrebungen, dass man eine eigene Form von Ernährungspolitik einführt, bei der es eben auch um den Gesundheitsstatus der Bevölkerung und das Ernährungsverhalten geht. Davon sind wir noch weit entfernt.

Wenn die Politik quasi tatenlos zuschaut, wie wir der Diktatur der Geschmacksstoffe unterworfen werden, sehen Sie eigentlich irgendeinen Ausweg, dass man der Macht der Konzerne, der Nahrungsmittelindustrie etwas entgegenstellen kann?

Also, ich denke, da muss man einfach den italienischen Weg gehen und nicht mehr so auf die Obrigkeit, sondern mehr auf sich selbst vertrauen. Sich kümmern, sich informieren. So wie man einen Prospekt liest, bevor man sich einen neuen Mercedes oder Opel mit Heckspoiler kauft, muss man sich halt auch über das Essen informieren. Und so wie man 15 Euro für einen Liter Motoröl ausgibt, muss man halt auch 15 Euro für einen Liter gutes Olivenöl ausgeben. Das darf man dann auch nicht teuer finden, sondern man muss dran denken, dass einem der eigene Darm näher ist als der Auspuff des Autos.

Sie sehen also für die Verbraucher Chancen, die Macht der Nahrungsmittelkonzerne zu brechen?

Sehen Sie hier in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum positive Tendenzen, oder steuern wir noch mehr einer Diktatur der Nahrungsmittelgiganten zu?

In der Neuen Zürcher Zeitung hat mal ein Leserbriefschreiber diese Herrschaft der Agrochemie und der Lebensmittelmultis als Chemokratur bezeichnet. Es gibt diese Tendenzen, und die Multis haben natürlich eine unglaubliche Macht. Auch über die Köpfe der Menschen. Die Nahrungsmittelindustrie gibt allein in Deutschland 2,5 Milliarden Euro für Werbung aus, um zu suggerieren, es han dele sich bei ihren Erzeugnissen um echtes gesundes Essen. Das gelingt ihr wohl zumindest bei der Mehrheit der Bevölkerung. Aber man kann sich individuell schon auch davon abkoppeln, man kann etwa auf den Ökomarkt gehen, man kann Hühner aus biologischer Haltung kaufen, wenn man das denn will. Da gibt es enorme Fortschritte in den letzten zwanzig Jahren. Es gibt ja immer mehr Einkaufsstätten mit entsprechenden Angeboten, Hofläden und so. Da sehe ich schon eine positive Veränderung. So haben es jetzt wir Verbraucher in der Hand, diese Angebote auch anzunehmen und die Macht der Nahrungsmittelgiganten zu brechen.

Trotz Massenproduktion und weltweitem Nahrungsdiktat: Hätten Sie morgen die Chance, Bundesgesundheitsminister zu werden, was wären Ihre wichtigsten Forderungen an die Politikerkollegen?

Ich würde das Aroma verbieten. Wenn Sie industrielle Aromastoffe verbieten, dann können Sie alle Supermärkte leer räumen. Weil die Nahrungsmittelindustrie ohne Aroma nicht auskommt. Aroma ist heutzutage die Leitsubstanz der Nahrungsmittelproduktion. Wenn Sie in den Supermarkt gehen, finden Sie praktisch nichts, was kein Aroma enthält. Die ganzen Perversionen in der Tiermast würden von einem Tag auf den anderen eingestellt, wenn es die Aromastoffe nicht gäbe. Aroma ist wirklich der Kernpunkt, weil es den Geschmack austrickst und wir die Kontrolle verlieren. Wenn wir uns nicht mehr übertölpeln lassen, dann kann man die Sachen auch nicht mehr essen.

Wie würden Sie das gegenüber Ihren Kabinettskollegen und dem Bundeskanzler, zu dessen erklärten Lieblingsspeisen die Currywurst gehört, begründen?

(gemeint ist der frühere Bundeskanzler Schröder)

Ganz einfach mit dem vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Und unsere Regierungsmitglieder schwören doch, sie wollen Schaden vom Volke abwenden.

Das heißt, Sie sagen, dass der Bevölkerung durch Zusatzstoffe geschadet wird?

Ja. Die angebotene Fertignahrung mit all ihren Aromen macht nicht nur dick, sondern sie degradiert die Menschen auch zu fremdgesteuerten Essern von Dingen, die sie womöglich gar nicht wollen. Es ist wirklich wie beim Tierfutter. Hier werden von den Leuten Sachen gegessen, welche ohne diese Aromen niemals konsumiert würden, weil sie schlichtweg schlecht schmecken. Das sagt übrigens auch die Aroma-Industrie. Aber es hat ja einen Grund, wenn etwas schlecht schmeckt. Es graut mir jedes Mal, wenn ich in solche Aroma-Handbücher reinschaue und dann davon die Rede ist, dass man unerwünschte Geschmacksnoten maskieren könne. Gerade das Maskieren ist es, was mich skeptisch macht. Es ist doch ein Witz, wenn man irgendwelche schlechten Geschmacksnoten oder auch etwas Schädliches – wer weiß es denn – kaschieren will. Mir ist auch gar nicht bekannt, was alles maskiert wird; aber ich möchte nicht irgendetwas essen, was meinen Kontrollsinn ausschaltet. Wenn wir also die Substanzen verbieten, welche andere schlechte Geschmacksrichtungen ausschalten, dann sind all diese Produkte unverkäuflich. Warum überlegt man sich nicht einfach, wie man Nahrungsmittel herstellen kann, die gut schmecken und gesund sind? Also, hier hat die Politik bislang völlig versagt.

Was empfehlen Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern?

Den Leuten empfehle ich einfach, sich mehr ums Essen zu kümmern, herauszufinden, was gut schmeckt und vor allem woher es stammt. Wo die Waren erzeugt werden und welche Wege sie genommen haben, sind existenzielle Fragen. Was wir brauchen, ist ein lebenslanges Essenlernen und Trinkenlernen, eine Verfeinerung der Sinne. Und dann empfehle ich, möglichst viel Geld auszugeben fürs Essen. Das Teuerste muss zwar nicht immer das Beste sein, aber man kann davon ausgehen, dass das Billigste in der Regel das Schlechteste ist. Also: Es wird Zeit, dass wir in die Öko- und Bioläden gehen und auch vom Großhandel entsprechende Produkte einfordern. Nun hat auch nicht jeder einen Garten, wo er Gemüse und Salat selbst anbauen kann. Deshalb muss man schauen, wo man regional und möglichst direkt einkaufen kann, sodass man etwas mehr davon weiß, was in den Lebensmitteln drin steckt.

Das Ganze ist also auch eine Frage des Preises. Vieles von dem, was billig angeboten wird, führt auch dazu, dass letztlich Konzerne und Zwischenhandel den Bauern den Preis diktieren. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Das ist natürlich der Kern des Problems. Die Supermarktketten sind für mich der Ursprung allen Übels. Mittlerweile wird ja bei uns über 80 Prozent all dessen, was gegessen wird, von den zehn größten Supermarktketten verkauft. Und die liefern sich einen unerbittlichen Preiskrieg. Dieser Preiskrieg führt dazu, dass die Qualität immer weiter nach unten geht. Die Anbaumethoden werden immer fragwürdiger, immer mehr wird naturfern erzeugt, weil das auf Billigtour anders nicht geht. Die Supermarktkonzerne können sich aber mit nichts anderem profilieren als mit ihrem Preis. Bei Rewe etwa verkaufen sie 100 Millionen Eier im Jahr. 100 Millionen Eier kann man nicht von einem kleinen Bauernhof bekommen. 100 Millionen Eier müssen von großen Eierbaronen kommen. Deswegen können diese Unternehmen sich natürlich nicht über Qualität profilieren wie mein Lieblings-Pralinenproduzent in Straßburg (Christian heißt der übrigens, der macht die göttlichsten Pralinen überhaupt). Der kann mit großer Sorgfalt produzieren, wie auch eine kleine Käserei. Diese Qualität können natürlich nur sorgfältig arbeitende handwerklich perfekte kleine Produzenten liefern. Das kann ein Laden wie Nestle einfach nicht. Ergo bleibt das Einzige, worüber die Konzerne sich profilieren können, der Preis. Oder irgendwelche Innovationen, die meistens kein Mensch braucht.

Wenn man jetzt die Entwicklung in den USA betrachtet und ein Szenario für die nächsten zwanzig Jahre entwickelt, wo landen wir dann Ihres Erachtens?

Im schlimmsten Fall bei amerikanischen Verhältnissen. In Amerika ist die Industrialisierung ja dermaßen perfektioniert, dass sie die Ökoeier aus Neuseeland einfliegen müssen, weil sie selbst zu wenig produzieren. Was natürlich problematisch ist. Jeder, der mal in Amerika war, weiß, in welchem Format viele Amerikaner durch die Straßen rollen und wie verbreitet das Übergewicht dort ist. Das ist der worst case, wenn sich die Entwicklung weltweit so ausbreiten würde. Übrigens auch bei Bazillenbefall und den industriellen Gegenmaßnahmen wie etwa Bestrahlung.

Aromen in der Tiernahrung und die Parallelen zum Menschen

Damit in der Massentierhaltung die Tiere das inzwischen durchgehend artfremde Mastfutter akzeptieren, mischt man den Futtermitteln Aromen zu. Das sind dann Aromen, die beispielsweise den Rindviechern wie eine Kräuterwiese schmecken. Bei anderen Tieren verwendet man ebenfalls die jeweils „artspezifischen“ Aromastoffe.

Auch hier wieder der Kommentar von Dr. Grimm:

Zitat: „Ich bin darauf gestoßen, dass es Tiernahrungsaromen gibt, die man den Futtermitteln zusetzt, die schmecken etwa nach Kräuterwiese. Es gibt auch den Aromatyp Wurm oder Maus, je nach Vieh. Und in den Prospekten für die jeweiligen Tieraromen steht etwa drin »Besonders geeignet zur Maskierung von Problemfuttermitteln«. Da ist mir aufgefallen, dass das natürlich genau diese Zusätze sind, die zu den Skandalen geführt haben, die wir in den letzten Jahren hatten. Von BSE angefangen, das durch verseuchtes Tiermehl entstand, aber auch die Dioxinproblematik oder die EHEC-Bakterien,' die entstehen, weil die Viecher nicht mit Heu und Gras gefüttert werden. Diese ganzen Zutaten und diese Aromen dienen letztlich nur dazu, dass die Tiere ein Zeug fressen, welches total artwidrig ist. Das ist doch total pervers. Wenn die Viecher ihr Chemiefutter bekommen, würden sie normalerweise schreiend davonrennen. Durch die Aromen tut man aber so, als ob das das artgerechte Heu von der Kräuterwiese wäre, das ihnen eigentlich gut tut. Und das ist natürlich ein Skandal.“

Tiere wissen ja instinktiv, dank ihres Geschmackssinns, was Ihnen gut tut und was sie essen dürfen. Wir Menschen haben diesen Geschmakssinn auch, doch durch die Aromen werden wie die Nutztiere „ausgetrickst“. Bei den Tieren setzt man die Aromen ein, damit sie mit diesem artfremden Futter schneller zunehmen. Es git Untersuchungen darüber, wie viel mehr die Tiere zunehmen, wenn sie aromatisiertes Zeug fressen.

Der Witz ist, dass beim Menschen das Gleiche passiert.

Die Menschen – das räumt der zuständige Industrieverband ein – nehmen auch mehr zu, wenn sie aromatisierte Lebensmittel essen. Im Umkehrschluss: Sie würden abnehmen, wenn Sie konsequent auf aromatisierte Lebensmittel verzichten. Das kann ich Ihnen guten Gewissens versprechen. Probieren Sie es aus.

Die Zitate zu dieser Artikelserie wurden entnommen aus dem Buch „ Futter fürs Volk – Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt“ von Volker Angres, Claus-Peter Hutter, Lutz Ribbe, erscheinen im Verlag Kopp, Regensburg. Im Internet erreichen Sie den Verlag unter www.kopp-verlag.de

Im nächsten Brief werde ich Ihnen über die Stoffe Glutamat und Glutamin berichten. Auch dieser Brief enthält dann wieder "brisante" Informationen.