Aromastoffe und unsere Geschmacksnerven - Teil 2

Im Teil 1 meines Gesundheitsbriefs zum Thema "Aromastoffe" hatte ich Ihnen versprochen, dass ich Ihnen Kommentare und Anmerkungen von Herrn Dr. Grimm liefern würde. Hier sind sie:

Kommentare von Dr. Hans-Ulrich Grimm - Buchtipps

Der promovierte Germanist, frühere Spiegel-Redakteur und Autor viel beachteter Bücher zum Thema Essen und Nahrungsmittel hat sich im Laufe der Jahre zu einem Spezialisten für Geschmacksverstärker und andere Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln entwickelt. In meiner nächsten Folge werde ich Ihnen einige seiner Kommentare zu unserem Thema zitieren.

„Die Suppe lügt. Die schöne neue neue Welt des Essens“, Knaur, München 1999
„Der Bio-Bluff. Der schöne neue Traum vom natürlichen Essen“, Hirzel, Stuttgart 1998
„Aus Teufels Topf. Die neuen Risiken beim Essen“, Klett-Cotta, Stuttgart 1999 (Knaur, Münche 2001),

Herr Grimm, wie sind Sie persönlich überhaupt auf das Thema Essen und Lebensmittel gekommen?

Ich esse wie viele andere jeden Tag und vor allem auch gerne. Ursprünglich hat mich vor allem das gute Essen interessiert, und so kam ich über die feinschmeckerische Schiene zum Thema. Schon als Lokalredakteur habe ich bei der Schwäbischen Zeitung auch übers Essen geschrieben. Dann war das Tschernobyl-Unglück, und da bin ich natürlich zur örtlichen Omira-Molkerei gegangen und habe gefragt, wie die die Tests machen, um Verstrahlung festzustellen und dergleichen. Aber am Essen hat mich eigentlich immer der Geschmack interessiert. Wie wichtig der Geschmack letztlich ist, habe ich damals noch gar nicht gewusst. Das hat sich für mich erst im Lauf der Zeit, nach zahlreichen Recherchen erschlossen.

Dann hat sich gezeigt, dass natürlichere Lebensmittel mehr Geschmack haben, oder?

Ja, das war mein ursprünglicher Zugang. Vor etwa zwanzig Jahren habe ich bemerkt, dass es überhaupt keine Erdbeeren gab, die wie Erdbeeren schmecken. Die Erdbeeren haben geschmeckt wie Tomaten, praktisch wie Wasser mit roter Haut außenrum. Da habe ich festgestellt, dass die einzigen Früchte, die auch gut schmecken, aus ökologischem Anbau sind. Und so bin ich nach und nach komplett auf Ökoprodukte umgestiegen. Ökomilch und Ökojoghurt, Ökofleisch – toll schmeckt das. Dass dieser Geschmack was ganz Wesentliches ist, über den Genuss hinaus, habe ich erst bei den Recherchen für die Bücher bemerkt. Am eklatantesten bei der Tiernahrung. Ich bin darauf gestoßen, dass es Tiernahrungsaromen gibt, die man den Futtermitteln zusetzt, die schmecken etwa nach Kräuterwiese. Es gibt auch den Aromatyp Wurm oder Maus, je nach Vieh. Und in den Prospekten für die jeweiligen Tieraromen steht etwa drin »Besonders geeignet zur Maskierung von Problemfuttermitteln«. Da ist mir aufgefallen, dass das natürlich genau diese Zusätze sind, die zu den Skandalen geführt haben, die wir in den letzten Jahren hatten. Von BSE angefangen, das durch verseuchtes Tiermehl  entstand, aber auch die Dioxinproblematik oder die EHEC-Bakterien,' die entstehen, weil die Viecher nicht mit Heu und Gras gefüttert werden.

Mein Hinweis: Vielleicht erinnern Sie sich noch: man füttert Rindviecher mit Tiermehl, welches man aus den Schlachtabfällen erzeugt, die man dem Menschen nicht vorsetzen darf. Pflanzenfresser bekommen also ein Futter aus gemahlenen Artgenossen.

Diese ganzen Zutaten und diese Aromen dienen letztlich nur dazu, dass die Tiere ein Zeug fressen, welches total artwidrig ist. Das ist doch total pervers. Wenn die Viecher ihr Chemiefutter bekommen, würden sie normalerweise schreiend davonrennen. Durch die Aromen tut man aber so, als ob das das artgerechte Heu von der Kräuterwiese wäre, das ihnen eigentlich gut tut. Und das ist natürlich ein Skandal.

Jetzt hat es aber den Anschein, dass man die Menschen schon genauso behandelt wie die Zuchttiere. Die Aromen – zwar nicht Regenwurm oder Heuwiese, sondern andere Geschmacksrichtungen – sind doch auch unseren Lebensmitteln zugesetzt?

Das war das, was mich am Anfang natürlich auch beschäftigt hat: dass Produkte nach etwas schmecken, was gar nicht drin ist. Die Hühnersuppe von Knorr etwa, mit 2 Gramm Trockenhuhn, was 7 Gramm Naturhuhn entspricht, kann natürlich nur den Anschein von Hühnersuppe erwecken, wenn man Aroma reingibt. Bei den Viechern war mir aufgefallen, dass man Essen, das ihnen nicht gut tut und das artwidrig ist, mit diesen Aromastoffen maskiert und somit beschönigt. Die gleichen Aromen bekommen die Menschen. Das Problem ist bei Mensch und Tier, dass der Geschmack eigentlich eine Kontrollaufgabe hat. Der Mensch hat 2000 Geschmacksknospen, Karnickel haben 15 000, Rinder 35 000. Denn das Rindvieh kann keine Packungsbeilagen lesen und keine Ernährungsratgeber. Das Vieh muss sich also auf seinen Geschmackssinn verlassen. Genauso wie der Löwe irgendwo in der Savanne. Tiere wissen ja instinktiv, dank ihres Geschmackssinnes, was ihnen gut tut und was sie essen dürfen. Wir Menschen haben diesen Geschmackssinn auch, doch durch die Aromen werden wir genauso ausgetrickst wie die Nutztiere. Bei den Tieren setzt man diese Aromen ein, damit sie mit diesem artwidrigen Futter schneller zunehmen. Da gibt es Untersuchungen darüber, wie viel mehr die Tiere zunehmen, wenn sie aromatisiertes Zeugs fressen. Und der Witz ist, dass bei den Menschen das Gleiche passiert. Die Menschen –das räumt sogar der zuständige Industrieverband ein – nehmen auch mehr zu, wenn sie aromatisierte Lebensmittel essen. Und das hat weltweit gigantische Auswirkungen. Einer Studie des Worldwatch-Instituts zufolge sind 1,2 Milliarden Menschen übergewichtig. Gesundheitsprobleme wie Diabetes und andere Krankheiten sind die Folge, und das wird langfristig für die Sozialkassen der einzelnen Länder ziemlich teuer.

Wenn man jetzt mal Ihre Erfahrung nimmt, auch vor dem Hintergrund Ihrer Bücher: Was stört Sie am meisten in Bezug auf die Wissenschaft?

Die Wissenschaft ist für uns Laien sehr wichtig. Denn man braucht für die Risikoabschätzung das wissenschaftliche Urteil. Vor allem wenn es darum geht, Verbraucherschutz und Gesundheitsfürsorge in Gesetze und Verordnungen einfließen zu lassen. Problematisch wird es meines Erachtens jedoch immer dann, wenn sich die Wissenschaftler in allzu große Nähe zur interessierten Industrie begeben. Zunächst muss das die Unabhängigkeit nicht unbedingt gefährden; doch oft habe ich den Eindruck, dass die Unabhängigkeit vieler Wissenschaftler im Bereich der Nahrungsmittel nicht mehr gesichert ist. Das hat dann bei den Gesetzgebungsprozessen sehr problematische Auswirkungen. Da habe ich mal mit einem Herrn von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung gesprochen – einer Einrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums –, der sagte lachend, dass gesundes Essen und gesunde Ernährung letztlich gar nicht mehr möglich seien. Ich habe ihm entgegnet, dass sich ja jeder gesund ernähren könne, wenn er entsprechend Obst und Gemüse isst und wenn er bewusst einkauft. Doch dann sagte dieser Mitarbeiter der Bundesforschungsanstalt, das könne ein Einzelner vielleicht schon, aber es sei für alle Menschen in Deutschland nicht mehr möglich, weil das Angebot in den Supermärkten dafür gar nicht ausreiche. Das ist nach meinem Empfinden ein absoluter Skandal. Das kennt man vielleicht aus Afrika, dass die gesunde Ernährung der Bevölkerung nicht gesichert ist, aber doch nicht von einem zivilisierten mitteleuropäischen Land, in dem es eigentlich Nahrung in Hülle und Fülle gibt. Da mein damaliger Gesprächspartner Angehöriger eines Forschungsinstituts ist, müsste man eigentlich annehmen, dass die Forschung untersucht, inwiefern die gesunde Ernährung nicht mehr gesichert ist, damit entsprechende Gegenaktionen möglich sind. Eigentlich müssten solche Wissenschaftler aufzeigen, wie viel Chemikalien die Menschen zu sich nehmen, wie es um Zusatzstoffe, Konservierungsstoffe, Säuren bestellt ist, welche die Zähne angreifen, den Knochenbau beeinträchtigen, das Immunsystem schwächen. Das weiß aber niemand, und das will wohl auch niemand wissen.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Firmen wie etwa Nestle behaupten ja immer, ihre Erzeugnisse wären absolut unbedenklich, da behördlich überprüft. Bei den Behörden weiß aber überhaupt niemand, wie viel die Menschen insgesamt an Zusatzstoffen wie Geschmacksstoffen, Geschmacksverstärkern usw. zu sich nehmen. Mir hat mal ein Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums gesagt: »Ich weiß ja nicht, was Nestle reintut.« Das ist bei den Firmen natürlich auch Betriebsgeheimnis, weil die nicht wollen, dass jemand eine 5-Minuten-Terrine nachbaut und auf den Markt bringt. Aber es ist mehr als skandalös, wenn wir Bürger und Verbraucher nicht sicher sein können, dass unsere Gesetze und Zulassungsverordnungen auf solider Kenntnis der Verzehrmengen beruhen. Da gibt es zwar nationale Verzehrsstudien, und da steht drin, was die Bevölkerung verzehrt an Hülsenfrüchten, an Kartoffeln, an Milch, Mehl, Eiern. Ich rufe dann die Leute an, welche die Studie gemacht haben, und frage: Wer isst eigentlich die 5-Minuten-Terrine und wer isst Müllers Milchreis? Das kommt bei euch gar nicht vor in der Studie. Bleibt das immer liegen im Supermarkt, räumen die das abends immer weg, weil die Leute nur Hülsenfrüchte gekauft haben? Und dann müssen die mir sagen, dass das eben nicht bekannt ist. Das wird nicht erhoben. Die Firmen wissen das natürlich. Die wissen auch, wie viel Marktanteile sie haben, aber es gibt keinen Wissenschaftler, der da einen Gesamtüberblick erstellt, damit öffentlich bekannt wird, wie viel von diesen industriellen Lebensmitteln und Zusatzstoffen die Menschen insgesamt verzehren. Und das ist natürlich hoch problematisch.

Wenn wir jetzt beim Thema Verzehr und Zusatzstoffe sind, was halten Sie für den größten Hammer bei der Fertignahrung?

Also, sicherlich ist die Summe insgesamt problematisch. Es sammelt sich ja alles im Darm. Den Darm kann man im Fernsehen leider nicht so schön herzeigen wie ein torkelndes BSE-Rindvieh. Es guckt eigentlich keiner rein in den Darm. Der Darm ist aber unglaublich wichtig, weil er zum einen dazu da ist, dass die Menschen Nährstoffe aufnehmen, und zum anderen die Funktion hat, Krankheitserreger, Allergene und dergleichen abzuwehren. Der Darm hat also eine Barrierefunktion. Nun gibt es Zusatzstoffe wie Sulfide, die sind etwa im Kartoffelpüree, in der 5-Minuten-Terrine und in vielen, vielen anderen Nahrungsmitteln enthalten. Doch davon steht oft nichts auf der Packung. Und diese Sulfide führen dazu, dass im Darm Bakterien existieren können, welche die Darmwand angreifen. Diese Bakterien sind bei Ölbohrfirmen gefürchtet, weil sie die Pipelines von innen her anfressen. Diese Bakterien wurdengleichermaßen gefunden im Flussschlamm des River Tay in Schottland und im Darm von Menschen. Übrigens: Bei 50 Prozent aller gesunden untersuchten Menschen wurden diese Bakterien festgestellt und bei 96 Prozent derer, die entzündliche Darmerkrankungen hatten, wie Colitis ulcerosa. Wenn dies bei so vielen Leuten verbreitet ist und deswegen der Schutzschild Darm angegriffen ist, dann kann es natürlich sein, dass gerade Allergene deswegen viel leichter den Eingang finden und sich ausbreiten. Wenn ich aber das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz anrufe und frage, ob man aus dieser Studie, die englische Wissenschaftler erstellt haben, irgendwelche Konsequenzen gezogen habe, dann sagen die, nein, das ginge sie nichts an.

Und auch das ist ein Skandal.

Die Zitate zu dieser Artikelserie wurden entnommen aus dem Buch „ Futter fürs Volk – Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt“ von Volker Angres, Claus-Peter Hutter, Lutz Ribbe, erscheinen im Verlag Kopp, Regensburg. Im Internet erreichen Sie den Verlag unter www.kopp-verlag.de

Es gibt noch mehr Informationen zu diesem Thema. Bleiben Sie neugierig auf die Fortsetzung.