Orthomolekulare Medizin und Vitamine – Teil 4

Im letzten Gesundheitsbrief mit dem Titel "Orthomolekulare Medizin - Teil 3" hatte ich Ihnen beispielhaft berichtet, welche Haltung die Kritiker gegenüber der Orthomolekularen Medizin haben. Es wird Ihnen sicher nicht entgangen sein, dass ich eine völlig andere Meinung dazu habe.

Ich möchte meinen eigenen Standpunkt mit einem Zitat von Hippokrates von Kos unterlegen:

"Lass die Nahrung Deine Medizin sein und Medizin Deine Nahrung"

Wenn Sie meine früheren Gesundheitsbriefe aufmerksam verfolgt haben, werden Sie wissen, dass ich immer wieder auf diesen Grundsatz zurückkomme. Im Grunde müssten wir uns um unsere Gesundheit keinerlei Sorgen machen, wenn wir in der Lage wären uns immer optimal mit allen erforderlichen Nährstoffen zu ernähren.

Heute möchte ich die kleine Serie zu "Orthomolekularer Medizin" mit dem vierten Teil fortsetzen. Ich möchte auch versuchen deutlich zu machen, dass es in diesem - nach meiner Kenntnis sehr wohl anerkanntem - Zweig der Medizin nicht darum geht, nun ganz regelmäßig ein einfaches Multivitamin- oder Multimineralpräparat einzunehmen. Das würde dem Anspruch der Orthomolekular Medizin nicht gerecht werden.

Benötigen wir Vitamine als Ergänzung zu unserer Ernährung?

Durch modernen Ackerbau und Viehzucht hat sich die Zusammensetzung unserer Nahrung deutlich verändert. Dies hat dazu geführt, dass z. T. nur noch ein Drittel der Mineralien und Vitamine in der Nahrung enthalten sind, dagegen findet man in Folge der Tiermast mehr Fett, Hormone, Antibiotika und andere chemische Substanzen. Obst und Gemüse sind gespritzt, lange gelagert, nicht genügend gereift, zu lange gekocht und enthalten dadurch bedingt zu wenig Vitamine.

Aber nicht nur die Nahrung, sondern auch unsere Gewohnheiten haben sich geändert. Wir essen zu viel und zu oft, wir essen zu viel Eiweiß, zu viel gesättigte Fette und zu viel ballastarme Kohlenhydrate, wir konsumieren Fastfood nicht nur in den dazu animierenden Kultstätten.

Noch einmal: Was bedeutet "Orthomolekulare Medizin"?

"Orthomolekulare Medizin ist die Erhaltung guter Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten durch Veränderungen der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind."

(Linus Pauling, Biochemiker und 2-facher Nobelpreisträger).

Mikronährstoffe im Sinne der "Orthomolekularen Medizin" sind: Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, ungesättigte Fettsäuren, Aminosäuren und Enzyme.

Die Orthomolekulare Medizin sieht sich als eine Ergänzung zur Schulmedizin und versucht in erster Linie Defizite an Mikronährstoffen zu verhindern bzw. bereits vorhandene Defizite auszugleichen. Sie eignet sich Ergänzung zu präventiven Konzepten, die auf Lebensstiländerungen bauen und einer patientenorientierten Schulmedizin nahe stehen.

Die Orthomolekulare Medizin will zvilisationsbedingten Krankheiten vorbeugen, die individuelle Gesundheit verbessern, die Behandlung mit Arzneimitteln optimieren sowie die Vitalität und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Lebensalter erhalten.

Die Orthomolekulare Medizin ist die wissenschaftliche Grundlage für den gezielten Einsatz von Vitaminen und anderen Nährstoffen in der Vorbeugung und Behandlung ernährungs- und umweltbedingter Krankheiten.

Für wen ist die Einnahme von Vitaminen sinnvoll?

Die Biochemiker Dietl und Ohlenschläger empfehlen, die Einnahme von Mikronährstoffen immer individuell zu betrachten. Ist eine Behandlungsmethode bei einem gesundheitlichen Problem oder einer definierten Krankheit möglicherweise wirksam, so muss ein Therapieversuch unternommen werden.

Mikronährstoffe werden nicht einzeln, sondern in Kombination und in ausreichend hoher Dosierung nach entsprechend den individuellen Bedürfnissen verordnet. Wie die kleinen Zahnräder einer Uhr wirken die einzelnen Substanzen zusammen (Synergismus).

Vor allem in speziellen Lebensphasen und bei bestimmten Risikogruppen ist der Vitaminbedarf besonders hoch, so z.B. bei chronischen Krankheiten, wie z.B. Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Gelenkrheuma, bei erhöhter geistiger und körperlicher Anstrengung, bei anhaltendem starkem Streß, in den Wechseljahren, in zunehmendem Alter, bei Schadstoff- und Umweltbelastungen und bei der Einnahme von Hormonen.

Was sagen die Fachgesellschaften zu Problematik unserer Ernährung?

Die Ernährungsproblematik wird von den Fachgesellschaften erkannt. Die FDA, Amerikas höchste Nahrungsmittel-Überwachungs-Behörde, so auch die Europäische Gemeinschaft empfehlen "Five A Day", in Deutschland mit den Worten "Fünf am Tag" verbreitet, d.h.: jeder sollte täglich fünf mal frisches Obst und / oder Gemüse zu sich nehmen.

Viele Menschen verzweifeln allerdings an dieser Forderung, weil sie so oft pro Tag nicht essen können und auch pro Mahlzeit die Zeit nicht aufbringen können oder wollen, 2 Hände voll Obst und/oder Gemüse gründlich zu kauen - und das 5x pro Tag.

Unterschiedliche Stimmen aus der Wissenschaft

Die Meinungen der Experten sind unterschiedlich: Viele Befürworter natürlicher Lebensmittel bezeichnen unser Nahrungsmittelangebot als völlig ausreichend, andere Experten wiederum sprechen von Mangelversorgungen und falschen Ernährungsgewohnheiten, die nur mittels künstlicher Substanzen auszugleichen sein sollen.

Dietl und Ohlenschläger verfechten folgende Prinzipien für die Orthomolekulare Medizin:

Welchen Stellenwert haben Multivitamin-Fertigpräparate?

Herkömmliche Multivitamin-Präparate, selbst wenn sie noch zusätzliche Mineralien enthalten, sind vom Standpunkt der orthomolekularen Medizin aus gesehen nur von eingeschränktem Wert. Sie können auf Grund ihrer geringen Konzentration bestenfalls Mangelerscheinungen verhindern; eine präventive oder gar therapeutische Wirkung im orthomolekularen Sinn ist jedoch damit nicht zu erzielen.

Die Medizin der richtigen Nährstoffe

Wussten Sie, dass etwa die Hälfte aller Erkrankungen in den modernen Industrienationen auf Fehl- und Überernährung zurückzuführen ist?

Denn unser Ernährungsverhalten hat sich im Laufe der Evolution vom rein biologischen Zweck der Ernährung immer weiter entfernt. Während die Nahrungsaufnahme unserer Vorfahren in der Steinzeit noch der notwendigen Nährstoff- und Energieversorgung diente, ist die heutige Ernährung durch Überfluss und übermäßigen Genuss geprägt. Energiereiche Nahrungsbestandteile wie Fette und Zucker dominieren unsere Ernährung - Vitamine und andere lebenswichtige Nährstoffe kommen dagegen zu kurz!

Für die normale Entwicklung und den Erhalt unserer Gesundheit sollten wir uns optimal und regelmäßig mit diesen Nährstoffen versorgen. Fehlt es nur an einem einzelnen Nährstoff, so kann unsere Leistungsfähigkeit absinken und der Boden für chronische Krankheiten kann geebnet werden. Ein Nährstoffmangel beeinträchtigt auf Dauer die Gesundheit und langfristig können handfeste Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten.

Die Orthomolekulare Medizin hat erkannt, dass ein Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen entscheidend an der Entwicklung moderner Zivilisationskrankheiten beteiligt ist. Sie versucht daher, ernährungs- und umweltbedingten Erkrankungen durch den gezielten Einsatz von Vitaminen und anderen Nährstoffen vorzubeugen und sie nebenwirkungsfrei zu behandeln.

Vorbeugen statt reparieren

Ernährung hat nicht nur die Aufgabe, nährstoffbedingte Mangelkrankheiten wie Skorbut (= Vitamin-C-Mangelkrankheit) oder Rachitis (= Vitamin-D-Mangelkrankheit) bei gesunden Menschen zu verhindern. Die regelmäßige und bestmögliche Versorgung mit Vitaminen und anderen Nährstoffen kann das Wohlbefinden steigern und in vielen Fällen die Behandlung bestehender Erkrankungen verbessern bzw. erfolgreich unterstützen.

Der Nährstoffbedarf ist so individuell wie der Mensch

Der Nährstoffbedarf des Einzelnen lässt sich nicht pauschalieren. Wer täglich unter Stress steht, regelmäßig Medikamente einnimmt oder unter Verdauungs- und Stoffwechselstörungen leidet, hat einen anderen Nährstoffbedarf als gesunde Menschen. So individuell wie der Mensch und seine Lebensumstände sind, so einzigartig ist auch sein Bedarf an lebenswichtigen Nährstoffen!

Häufige Ursachen für einen Nährstoffmangel bzw. erhöhten Bedarf sind

  • Risikogruppen: Frühgeborene, Frauen im gebärfähigen Alter mit Kinderwunsch (Folsäure, Jod, Selen), Schwangere/Stillende (Folsäure, Vitamin C, Jod, Magnesium, Eisen), Jugendliche (Vitamin D, B-Vitamine, Calcium, Selen), Senioren (Vitamin D, B-Vitamine, Calcium, Selen, Zink)
  • Regelmäßige Einnahme von Arzneimitteln: Antibiotika (Vitamin C), Antiepileptika (Vitamin D, B6, Folsäure), Diuretika (Folsäure, Magnesium, Zink), Aspirin (Vitamin C), Herzglykoside (Vitamin B1)
  • Chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Krebs, Mukoviszidose, Osteoporose, Rheuma, Leber-, Nierenerkrankungen), Operationen, Genesung
  • Ernährung: Wir essen zu fett, zu süß, zu viel und zu salzig! Qualitätsverluste unserer Nahrungs-mittel durch Massentierhaltung, intensive Landwirtschaft und moderne Lebensmittelverarbeitung. Streng vegetarische Ernährung (Vitamin B12, Selen, Jod, Zink) 
  • Genussgifte: Alkohol (Magnesium, B-Vitamine, Zink), Zigaretten (Vitamin C, Folsäure, Selen)
  • Stress und berufliche Belastungen (Vitamin C, Magnesium, B-Vitamine), Umweltbelastungen

Ernährungsempfehlungen

  • Eine kalorienangepasste vollwertige Ernährung, die reich an Ballaststoffen, frischem Obst und Gemüse ist, bildet die Grundlage der Orthomolekularen Medizin.
  • Essen Sie mehr frisches Obst und Gemüse (Ideal: 5 Portionen pro Tag)!
  • Nehmen Sie weniger Fett zu sich! Bevorzugen Sie kaltgepresste pflanzliche Öle (z.B. Olivenöl, Rapsöl)!
  • Essen Sie Vollkornprodukte und ballaststoffreiche Lebensmittel anstelle von Weißbrot!
  • Reduzieren Sie den Fleischverzehr (max. 1x pro Woche), erhöhen Sie den Verzehr von Seefisch (z.B. Heilbutt, Wildlachs) auf 2x pro Woche! Meiden Sie zu spätes Abendessen!
  • Schränken Sie den Alkoholkonsum ein auf maximal 1 Getränk pro Tag (z.B. 1 Glas Rotwein)!
  • Achten Sie auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr (etwa 2 Liter/Tag, z.B. Mineralwässer). Viel Kaffee, schwarzer Tee und Alkohol fördern die Wasserausscheidung und damit den Verlust wasserlöslicher Nährstoffe (z.B. B-Vitamine, Magnesium).
  • Reduzieren Sie die Kochsalzzufuhr auf <=6 g pro Tag!
  • Verzichten Sie auf Genussgifte wie Zigaretten!

Orthomolekulare Medizin ist keine Alternativmedizin!

Vitamin- und andere Nährstoffpräparate sind auf keinen Fall ein Ersatz für eine gesunde Ernährung. Sie bieten auch keine Versicherung gegen die Folgen von Rauchen, Alkoholmissbrauch, Übergewicht und/oder Bewegungsmangel!

Die Orthomolekulare Medizin ist deshalb keine Alternative, sondern eine wichtige Ergänzung und Bereicherung der schulmedizinischen Behandlungsformen (z.B. Medikamente). Sie basiert wie die Schulmedizin auf nachprüfbaren und streng wissenschaftlichen Grundlagen. Als ganzheitlich orientierte Therapieform ist die Orthomolekulare Medizin gleichermaßen Bestandteil der Schulmedizin und der Naturheilkunde.

"Gießkannenprinzip" oder gezielter Einsatz?

Die Orthomolekulare Medizin ist keine "Megavitamin-Therapie" nach dem Gießkannenprinzip. Nährstoffe werden in der Orthomolekularen Medizin gezielt, auf die individuellen Bedürfnisse und auf das jeweilige Krankheitsbild zugeschnitten, ergänzt.

Empfehlungen zur Dosierung und Anwendungsdauer von Nährstoff- Präparaten

Nährstoffe spielen in unserem Körper zusammen wie ein großes Orchester. Fehlt eines der Instrumente oder ist eine Stimme nicht besetzt, wird die musikalische Harmonie (im übertragenen Sinn unser Stoffwechsel) beeinträchtigt. Schon der Mangel an einem Nährstoff stört das optimale Zusammenspiel der anderen Nährstoffe, denn jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

In der Vorbeugung und Therapie wird daher als Grundlage eine moderat dosierte und breit gefächerte Nährstoffkombination, mit krankheitsspezifischen Nährstoffakzenten, empfohlen. Da sich chronische Erkrankungen wie Arteriosklerose über Jahrzehnte entwickeln, sollten Nährstoff-Präparate langfristig eingenommen werden (Beispiel.: Omega-3-Fettsäuren).

Eine vorbeugende oder gar therapeutische Wirkung ist bei kurzfristiger Anwendung und falscher (zu niedriger) Dosierung nicht zu erzielen. Die Tagesdosis sollte, vor allem bei wasserlöslichen Vitaminen und Mineralstoffen, über den Tag verteilt werden (z.B. 2x täglich). Dadurch wird die Nährstoffverwertung im Körper verbessert und unnötige Nährstoffverluste über den Urin verringert.

Ich werde diese Serie zu den Grundlagen der Mikronährstoffe fortsetzen.