In meinem letzten Gesundheitsbrief hatte ich mit einem Aufsatz über Hömöopathie damit begonnen, Ihnen einen kleinen Überblick über die vielen verschiedenen Heilverfahren zu geben, die Ihnen so "über den Weg laufen" können. Heute möchte ich diese kleine Serie über die verschiedenen Heilverfahren mit einer Beschreibung der Phytotherapie fortsetzen.
Unter Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) versteht man vor allem das Heilen mit Kräuterzubereitungen wie Tees, Inhalationen, Bäder, Umschläge, Waschungen, Auflagen und Tinkturen.
Pflanzenheilkunde findet sich in allen Kulturen der Erde als eine der Grundmethoden der jeweiligen Medizinsysteme. In den naturheilkundlich orientierten Medizinsystemen steht sie meist gleichwertig und in enger Verbindung neben den auf Psyche und Seele ausgerichteten Verfahren (zum Beispiel Schamanismus) und den auf Verhaltensänderung zielenden Verfahren (Ordnungstherapien). Die Pflanzenheilkunde stellt auch eine Säule der Traditionellen Chinesischen Medizin dar.
Die ältesten historischen Aufzeichnungen über Heilpflanzen sind 6.000 Jahre alt und in Keilschrift erhalten. Sie wurden am Persischen Golf auf Tontafeln gefunden. Aus dem antiken Ägypten stammt ein Papyrus, auf dem über 600 Pflanzen und ihre Anwendungsbereiche verzeichnet wurden. Das erste Kräuterbuch entstand 3000 v. Chr. in China und listet rund 1000 Heilpflanzen auf. Hippokrates, der Begründer der wissenschaftlichen Medizin, beschäftigte sich 500 v. Chr. ebenso mit Kräutern wie der Arzt Dioskorides, dessen medizinisches Lehrbuch aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. lange als Grundlage für Kräuterkundler galt. Etwa zur gleichen Zeit verfasste der römische Arzt Plinius Secundus sein 12-bändiges Heilpflanzenlexikon. Der Arzt Claudius Galenus aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert gilt als Begründer der modernen Pharmakologie.
Im Mittelalter übernahmen die Mönche und Nonnen eine wesentliche Rolle in der Heilpflanzenkunde, darunter Hildegard von Bingen (Hildegard-Medizin). Paracelsus brachte schließlich seine Signaturenlehre ein, die besagt, dass das Aussehen der Pflanze auf ihre Heilwirkung schließen ließe. Lange belächelt, erfährt Paracelsus heute durch moderne Forschungen teilweise Bestätigung. Das Lungenkraut etwa, das ihn aufgrund seiner fleckigen Blätter an Lungengewebe erinnerte, wird als Tee bei chronischen Atemwegserkrankungen verwendet.
Durch die Verfolgung zahlreicher kräuterkundiger Frauen und Männer als Hexen und Hexer, durch die weitgreifenden Auswirkungen der Philosophie der Aufklärung und die oft als "Siegeszug der Chemie" bezeichnete moderne Entwicklung der Pharmazie ging viel Wissen verloren, das heute allmählich wieder entdeckt wird.
Die Pfarrer Kneipp, Künzle und Weidinger hielten die Tradition der Kräuterheilkunde weiter hoch, und im 20. Jahrhundert stellte der Arzt Dr. Rudolf Fritz Weiß die Heilpflanzenkunde auf eine wissenschaftliche Basis. Er gründete den ersten Lehrstuhl für Phytotherapie in Deutschland und sorgte für die Anerkennung durch die Schulmedizin.
Während die Phytotherapie sich mit der Wirkung von Pflanzenstoffen auf den kranken Menschen und der Nutzung von Heilpflanzen als Therapie beschäftigt, erforscht die Pharmakognosie die chemische Zusammensetzung der pflanzlichen Apotheke. Dabei werden ihre Inhaltsstoffe teilweise in Einzelwirkstoffe zerlegt, die unabhängig vom Gesamtgefüge der Pflanze eine andere und manchmal sogar in hoher Dosis gefährliche Wirkungen haben können. Auch zahlreiche schulmedizinische Medikamente enthalten Pflanzenwirkstoffe.
Pflanzenkunde wird oft zur Selbstbehandlung herangezogen. Am häufigsten werden Tees verwendet. Damit die Kräuter-Arzneien ihre volle Wirkkraft entfalten können, ist die richtige Ernte, Lagerung, Zubereitung und Anwendung von entscheidender Bedeutung:
Heilkräutertees sollten morgens nüchtern und am Abend vor dem Schlafengehen getrunken werden, zwischendurch eventuell ein bis zwei Stunden nach dem Mittagessen. Die Wirkstoffe können aus dem leeren Magen besser durch die Schleimhäute aufgenommen werden. Als Dosierung werden meist 1 bis 2 Teelöffel pro Tasse empfohlen, bei Kindern unter 6 Jahren die Hälfte. Hustentees können mit Honig gesüßt werden, die meisten anderen Tees - etwa für den Magen-Darmtrakt - sollten ungesüßt getrunken werden. Kräutertee wird am besten schluckweise und in Ruhe eingenommen. Kurmäßige Anwendungen dürfen ohne ausdrückliche medizinische Verordnung meist nicht länger als drei Wochen durchgeführt werden, weil sich danach Nebenwirkungen einstellen können. Auch der regelmäßige Genuss immer desselben Kräutertees etwa als Frühstückstee ist deshalb nicht zu empfehlen.
Fachleute geben oft einzeln zu verwendenden Kräutern den Vorzug gegenüber Teemischungen. Die jeweiligen Zutaten von fertig erhältlichen Mischungen würden manchmal sehr unterschiedliche Zubereitungsarten für den Tee erfordern.
Zarte Pflanzenteile wie Blüten, Blätter und Samen (etwa Kamillenblüten) sowie manche Wurzeln, die ätherische Öle enthalten, werden am besten mit kochendem Wasser übergossen, fünf bis zehn Minuten ziehen gelassen und dann abgeseiht. Damit ätherische Öle nicht verdampfen, empfiehlt es sich, den Tee zuzudecken. Teebeutel in heißes Wasser zu hängen, ergibt eine andere Wirkstofflösung, als sie mit dem Wasser zu übergießen. Malvenblüten zum Beispiel müssen mit lauwarmem Wasser übergossen werden und mindestens eine Stunde lang ziehen, damit sie ihre Inhaltsstoffe freisetzen.
Manche Kräuter und Wurzeln (zum Beispiel Eibischwurzel) müssen mit kaltem Wasser übergossen und anschließend aufgekocht werden.
Manche Kräuter und die meisten Wurzeln, Rinden und Hölzer - vor allem mit Gerbstoffen und Kieselsäure - sollten etwa 10 bis 15 Minuten lang gekocht und danach abgeseiht werden. Aus harten Pflanzenteilen sind die Wirkstoffe schwerer herauszulösen.
Hitzeempfindliche und gut wasserlösliche Wirkstoffe, wie sie zum Beispiel in Misteltee oder Baldrian enthalten sind, können auch in kaltem Wasser gelöst werden. Dafür werden die Kräuter mindestens 30 Minuten lang eingeweicht. In Kräutern können jedoch Keime enthalten sein, die durch die kalte Zubereitung nicht abgetötet werden. Bei bestimmten Keimen, zum Beispiel den auf Beeren lebenden Hefen, ist das sehr wünschenswert, da sie so zur Regeneration der Darmflora beitragen können.
Zum Gurgeln und Mundspülen wird ungesüßter Kräutertee - zum Beispiel Salbeitee - verwendet. Die reine Gurgelzeit sollte mindestens ein bis fünf Minuten betragen.
Vier bis sechs Esslöffel der Kräuter werden mit einem Liter kochendem Wasser übergossen. Die aufsteigenden Dämpfe werden eingeatmet, während man den Kopf mit einem Handtuch abdeckt.
Für Voll- oder Teilbäder werden größere Mengen Tee hergestellt und dem Badewasser zugefügt beziehungsweise pur zum Baden verletzter Glieder verwendet. Für einen Liter Badeflüssigkeit wird meist ein Esslöffel der Kräuter zubereitet und zehn Minuten ziehen gelassen. Die Badetemperatur sollte zwischen 35 und 40 Grad betragen. Bei ansteigenden Fußbädern zur Durchblutung und Erkältungsabwehr wird die Temperatur langsam erhöht (nicht bei Venenerkrankungen und Herz-Kreislauf-Störungen!).
Bei Hautunreinheiten können in warmen Kräutertee getränkte Mullstücke oder Tücher für Waschungen mit kreisenden Bewegungen verwendet werden.
Augenwaschungen werden von außen nach innen durchgeführt.
Feuchte Verbände und Umschläge sollten einige Stunden lang auf der Haut liegen bleiben und immer wieder frisch mit Kräutertee getränkt werden.
Heilkräuter können auch als Tinkturen (etwa alkoholische Auszüge), Ölauszüge, Salben, Medizinalwein, Kräutersäfte, Pulver, Tropfen, Kapseln oder Dragees verwendet werden. Sie sind fertig in Apotheken erhältlich, können aber oft auch selbst angefertigt werden.
Die Wirkung der Heilpflanzen beruht auf ihrer meist sehr komplexen Zusammensetzung aus ätherischen Ölen, Bitterstoffen, Gerbstoffen, Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen etc. Eine ganze Reihe von Heilpflanzen wurde mittlerweile wissenschaftlich untersucht und ihre Wirksamkeit anerkannt. Vor allem bei leichten, chronischen oder psychosomatischen Erkrankungen und bei funktionellen Störungen ist die Phytotherapie eine gute und auch von Ärzten empfohlene komplementärmedizinische Methode.
Damit Kräuter ihre Wirkstoffe bewahren, ist die richtige Ernte, Trocknung, Verarbeitung und Aufbewahrung entscheidend. Die Inhaltsstoff-Zusammensetzung schwankt auch je nach Standort. Kräutertees sollten maximal ein Jahr lang, und zwar dunkel und trocken, in verschraubbaren Gläsern oder Dosen gelagert werden.
Heilkräutertees gelten nach wie vor als Hausmittel bei zahlreichen kleinen Beschwerden oder zur Vorbeugung (Welche Pflanzen wofür helfen), etwa bei beginnenden Erkältungen, Atemwegserkrankungen, Erschöpfung, Schlafstörungen, leichten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magenbeschwerden, Verdauungsproblemen, Blasenleiden, Menstruationsbeschwerden und leichten Hauterkrankungen, Verletzungen und Verstauchungen.
Schwangere Frauen und organisch Kranke sollten sich auf keinen Fall selbst mit Phytotherapie behandeln, sondern sich durch Fachleute beraten lassen. Immungeschwächte Menschen sollten nur unter medizinischer Anleitung Kaltauszüge zu sich nehmen, da sie Keime enthalten können. Eigenmächtig zusammengestellte Kräuterkombinationen und auch das Konsumieren von Kräutertees über etliche Wochen und in großen Mengen können starke und auch gefährliche Nebenwirkungen haben.
Trotz der Wirksamkeit der Pflanzen empfiehlt es sich, bei der Selbstbehandlung die Grenzen der Phytotherapie nicht zu vergessen. Verschwinden Beschwerden nicht längstens nach drei Tagen wieder, sollte ärztlicher Rat eingeholt werden. Schmerzen und Fieber als Reaktion auf Kräuter sind ein Alarmzeichen, die ebenfalls einen Arztbesuch erfordern. Bei Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder allergischen Hautreaktionen ist die Behandlung sofort abzubrechen.
Heilkräuter aus der Apotheke müssen den Mindestanforderungen laut Arzneimittelbuch entsprechen und werden streng überprüft. Das gilt nicht für Tees aus dem Supermarkt, die nur als Lebensmittel und nicht als Arzneimittel verkauft werden. Darüber hinaus können Kräuter stark mit Umweltgiften belastet sein.
Wer Heilkräuter selbst sammeln möchte, sollte über ausgezeichnete botanische Kenntnisse verfügen, um sie von ähnlichen und manchmal giftigen Verwandten unterscheiden zu können. Nicht gesammelt werden dürfen vom Aussterben bedrohte Pflanzen. Wurzeln sollten generell nicht ausgegraben werden, um den Wildwuchs nicht zu gefährden. Sie werden besser aus eigens angebauten Kulturen bezogen.
Industriell hergestellte Phytopharmaka wirken nicht immer genauso wie die Heilpflanzen, aus denen sie gewonnen werden und die zum Beispiel als Tees erhältlich sind.
Seriöse Therapeuten sollten einer Fachgesellschaft (Deutschland) angehören, die für eine Qualitätssicherung bei Ausbildung und Behandlung garantiert. In Österreich gibt der Dachverband der österreichischen Ärzte für Ganzheitsmedizin in Wien Auskunft über speziell ausgebildete Mediziner, in Deutschland bietet dies die Patienteninformation für Naturheilkunde in Berlin.
Übrigens finden Sie dieses Heilverfahren - und noch viele mehr - auf den Seiten der Forschungsstiftung für natürliche Gesundheit: www.naturheilkunde-lexikon.eu