Glutenfreie Ernährung braucht ein normaler Mensch nicht

Viele Menschen kaufen ohne Not teure glutenfreie Produkte. Haben sie irgendeinen Vorteil von der Nahrungsumstellung?

"Weizenwampe", "Dumm wie Brot", "Achtung, Weizen!": Eine zunehmende Zahl von Büchern verteufelt das Getreide und verspricht "Siegernahrung" in Form von glutenfreien Speisen. Dabei sind Produkte ohne Gluten eigentlich nur für Menschen gedacht, die an Zöliakie leiden. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist betroffen. Bei ihnen bildet der Organismus Antikörper gegen das Klebereiweiß aus dem Getreide. Diese Antikörper schädigen den Dünndarm, das Organ kann nicht mehr genügend Nährstoffe aufnehmen.

Glutenfrei wird unnötigerweise zum Lifestyle

Der Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel ist für Zöliakie-Patienten unabdingbar - doch was als Therapie begann, ist zum Lifestyle geworden. "Dass glutenfreie Ernährung ein Modetrend ist, ist natürlich kein Zufall", sagt Daniel C. Baumgart, Oberarzt am Zentrum für Innere Medizin an der Charité in Berlin. "Sie ist unter anderem auch ein Milliardenmarkt." Die Hersteller wollten sich einen Marktvorteil verschaffen, indem sie dieses Attribut auf ihre Produkte druckten. Und das funktioniert: Der Umsatz des Branchenführers Dr. Schär steigt Jahr für Jahr. 2014 lag er bei 260 Millionen Euro.

Der Markt ist interessant, weil glutenfreie Produkte mehr kosten. "Die Nudeln sind viel teurer, das Brot ist viel teurer", sagt Maria Boumezrag von der Deutschen Zöliakigesellschaft (DZG). Im Online-Shop von Dr. Schär kostet ein Päckchen Nudeln 2,49 Euro, ein 500 Gramm Vollkornbrot ganze 7,29 Euro. Die für Zöliakie-Patienten notwendige Diät belastet den Geldbeutel ungemein, Hartz-IV-Empfänger bekommen deswegen monatlich 70 Euro zusätzlich, wenn sie an der Krankheit leiden.

Keine Hinweise, dass eine glutenfreie Ernährung einen gesundheitsfördernden Effekt hat

Doch was ist mit all denen, die die teuren Produkte ohne Not kaufen? Sind sie tatsächlich schlanker oder gesünder? Gluten kommt überwiegend in sehr kohlenhydratreichen Produkten vor. Wer auf sie verzichtet, kann unter Umständen Gewicht verlieren. Doch den gleichen Effekt hat auch eine bewusste Ernährung, bei der man beispielsweise Brot öfter mal durch Obst oder Gemüse ersetzt.

Darüber hinaus "gibt es aktuell keine Hinweise, dass eine glutenfreie Ernährung einen gesundheitsfördernden Effekt hat", sagt der Mediziner Baumgart. "Wenn man keine Zöliakie hat, gibt es keinen Grund für diese nicht ganz einfach einzuhaltende Diät." Auch Maria Boumezrag sieht das so: "Eine glutenfreie Ernährung braucht ein normaler Mensch nicht. Das wirkt sich weder positiv noch negativ aus - es ist einfach unnötig."

Obwohl Gluten verzichtbar ist, ist eine radikale Nahrungsumstellung ohne Ernährungskenntnisse nicht ganz harmlos. Gluten ist in sehr vielen Lebensmitteln enthalten. Wenn sie alle weggelassen werden, "können viele wichtige Nährstoffe, etwa Ballaststoffe oder Vitamine, wegfallen", so Baumgart. Zöliakie-Patienten erhalten nicht umsonst für die Umstellung Hilfe von Ernährungsberatern.

Menschen, die den Verdacht haben, an Zöliakie zu leiden, sollten auf keinen Fall auf eigene Faust den glutenfreien Weg einschlagen. Denn der Gastroenterologe kann keine Diagnose stellen, wenn der Patient zuvor auf Gluten verzichtet hat. Wer häufiger Verdauungsstörungen hat, sollte auf jeden Fall einen Spezialisten aufsuchen.

Arsen statt Gluten

  • Eine aktuelle Studie hat bei Menschen, die sich glutenfrei ernähren, erhöhte Werte an Arsen und Quecksilber entdeckt.
  • Die Forscher vermuten Reismehl als Quelle der toxischen Stoffe.
  • Die Studie erlaubt allerdings keine grundsätzliche Aussage über Gefahren glutenfreier Nahrungsmittel.
  • Weitere Untersuchungen sollen folgen.

Menschen, die sich glutenfrei ernähren, nehmen möglicherweise erhöhte Mengen an Arsen und Quecksilber zu sich. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, veröffentlicht im Fachblatt Epidemiology.

"Die Ergebnisse liefern einen Hinweis, dass glutenfreie Diät unbeabsichtigte Nebenwirkungen hat", sagt die Statistikerin Maria Argos von der University of Illinois at Chicago.

Ihre Forschungsgruppe hat von 73 Patienten, die beim Essen auf den Klebereiweiß Gluten verzichten, Urin- und Blutproben mit jenen von mehr als 7000 weiteren Probanden verglichen. Die Arsenwerte waren in der glutenfreien Gruppe beinahe doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe, die Quecksilberwerte bis zu 70 Prozent erhöht. Die Wissenschaftler vermuten Reismehl als Quelle der toxischen Stoffe, es ersetzt in glutenfreien Lebensmitteln häufig die Weizenbestandteile.

Allerdings schränken die Wissenschaftler ein, dass ihre Studie keine grundsätzliche Aussage zu Gesundheitsgefahren durch glutenfreie Ernährung erlaubt. Schon länger ist bekannt, dass verschiedene Reissorten erhöhte Konzentrationen an Arsen aufweisen. Ob aber Menschen, die sich glutenfrei ernähren, besonders gefährdet sind, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung halten bei moderatem Konsum von Reis eine Gesundheitsgefahr jedenfalls für unwahrscheinlich.

Genau hier aber liegt das Problem: Glutenfreie Ernährung ist bei vielen ernährungsbewussten Menschen stark im Trend, immer mehr Hersteller werben mit entsprechenden Produkten. Dabei sind in Industrieländern schätzungsweise nur ein Prozent der Bevölkerung überhaupt von einer sogenannten Zöliakie betroffen - einer Unverträglichkeit der Dünndarmschleimhaut gegenüber Klebereiweiß in Getreide. Ob glutenfreie Nahrungsmittel darüber hinaus besonders gesund sind, ist wissenschaftlich nicht belegt.