Seit etwa 12 Jahren schreibe ich über Vitamine, über gesunde Ernährung und gelegentlich auch über den Wahnsinn pharmazeutischer Produkte und dabei besonders über die Anwendung von Psychopharmaka. In all diesen Jahren ist mir selten etwas so Schockierendes untergekommen: Die Entscheidung des Amtes für Nahrungsmittel und Drogen (Food and Drug Administration, FDA) in den USA, die Vermarktung des allerersten genveränderten Tieres (GVO-Tier) für den menschlichen Verzehr zuzulassen, ist ein solches Beispiel. Die Entscheidung der Behörde fiel gegen die Einsprüche von zwei Millionen Bürgern, gegen den Widerstand von 40 Mitgliedern des US-Kongresses und über 300 Umwelt-, Verbraucher-, Gesundheits- und Tierschutz-Verbänden, von Lachs- und Fischerei-Organisationen und sogar von Supermarktketten. Das lässt mich staunen.
Am 19. November 2015 genehmigte die FDA zum ersten Mal auf der ganzen Welt die Vermarktung eines gentechnisch veränderten Tieres. Eine erste Information dazu habe ich Ihnen in einem kürzlich verschickten Gesundbrief gegeben: Alles klammheimlich: Gentechnik und Tiere.
Der ursprüngliche Hollywoodfilm Frankensteins Haus (engl. Titel House of Frankenstein) aus den 1940er Jahren beruhte auf einem Roman von Mary Wollstonecraft Shelley. Er handelte vom fiktiven Klonen eines Menschen durch den Wissenschaftler Baron Frankenstein. Der hatte ein Experiment mit menschlichen Organen durchgeführt und wider Erwarten ein Monster erzeugt, das er mit dem Gehirn eines verurteilten Mörders geklont hatte.
Es gab eine Zeit, als ich noch glaubte, dass das alles einfach nur eine frei erfundene Geschichte sei ...
Die 2015er Version von Frankensteins Haus beschäftigt sich mit einer weit kriminelleren und groteskeren Kreation, nämlich mit der genetischen Manipulation von Lachsen. In ihrer Pressemitteilung vom 19. November erklärte die FDA in Washington:
„Die US Food and Drug Administration hat aufgrund solider Wissenschaft und einer umfassenden Überprüfung heute einige wichtige Schritte in Bezug auf Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren eingeleitet. Dazu gehört die erste Zulassung eines für den Verzehr bestimmten, gentechnisch veränderten Tieres, des AquAdvantage Lachses.“
In der FDA-Erklärung heißt es weiter: „Die FDA hat die von Aquabounty Technologies eingereichten Unterlagen und Informationen über den AquAdvantage Lachs gründlich analysiert und bewertet. Sie stellt fest, dass diese die vorgeschriebenen Anforderungen für die Genehmigung erfüllen und auch, dass aus dem Fisch hergestellte Nahrungsmittel sicher zu verzehren sind“, so Frau Dr. Bernadette Dunham, DVM, Leiterin des FDA Zentrums für Veterinär-Medizin.
Was ist das für ein Ding namens AquAdvantage Lachs? Es handelt sich um eine Kreuzung zwischen einem gentechnisch veränderten Atlantischen Lachs (Salmo salar) und einer eng verwandten wilden Seeforelle (Salmo trutta). Die Erfinder haben ein Wachstumshormon-Gen des Chinook-Lachses und ein Stück DNA aus der braunen Meerforelle genommen. Dann haben sie beides miteinander kombiniert, um einen Fisch zu erschaffen, der das ganze Jahr über wächst, und dies angeblich, um die Futterkosten zu senken und die Wachstumszeit bis zu einer marktfähigen Größe zu verkürzen.
Die FDA erklärt, dass bei dem Hybrid des GVO-Lachses die Kennzeichnungspflicht, dass es sich um eine GVO-Kreuzung handelt, nicht erforderlich sei. Sie gibt an:
„Die FDA kann nur die zusätzliche Kennzeichnung ›GE‹ für gentechnisch veränderte Lebensmittel verlangen, wenn ein wesentlicher Unterschied zwischen einem GE Produkt und seinem Nicht-GE Gegenstück gegeben ist ? wie beispielsweise ein unterschiedliches Ernährungsprofil. Bei dem AquAdvantage Lachs konnte die FDA keine derartigen Unterschiede feststellen.“
Dann kommt die FDA mit einer der unglaublichsten Aussagen in einer Erklärung voller Lügen und irreführenden Halbwahrheiten zu dem Schluss:
„Die FDA hat entschieden, die Genehmigung für die Verwendung des AquAdvantage Lachses hat keine signifikanten Auswirkungen auf die Umwelt, weil vielfältige und redundante Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Fische unter Verschluss zu halten und ihre Flucht und Auswilderung in die Umwelt zu verhindern.“
Im Mai 2013 hat in Kanada eine Gruppe Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Studie über mögliche Gefahren des GVO-Lachses der Firma Aquabounty Technologies in den Sitzungsberichten der Royal Society of Canada veröffentlicht. Ihre Schlussfolgerungen hätten, wenn sie in Washington ernst genommen worden wären, ein für alle Mal die Zulassung durch die FDA ausgeschlossen. Sie waren von der FDA völlig ignoriert worden. Die FDA berief sich stattdessen auf Belege, die ihr von Aquabounty Technologies vorgelegt worden waren.
Die kanadischen Wissenschaftler waren zu dem Schluss gekommen, dass „die Kreuzung zwischen Arten ein Weg für Transgene ist, aus den gentechnisch veränderten (GVO) Tieren in die Wildpopulationen vorzudringen. Noch sind die ökologischen Auswirkungen und möglichen Risiken, die von solchen Kreuzungen ausgehen könnten, nicht bekannt ...“.
„Kreuzung zwischen Arten“ ist ein Begriff für die Entstehung eines Hybrids durch die Paarung von zwei verschiedenen Pflanzen- oder Tierarten. Das gut eingeführte „Vorsorgeprinzip“ würde der FDA an dieser Stelle sagen, „Vorsicht Junge! Wir haben keine Ahnung, was passiert, wenn wir diesen Geist aus der Flasche lassen.“
Stattdessen sagt die FDA, „Verdammte Torpedos! Volle Kraft voraus mit dem GVO-Lachs! Uns ist sch…egal, welche möglichen Folgen das für Mensch und Tier hat.“
„In den im Fluss eingerichteten Mesokosmen (teilgeschlossene, experimentelle Anlage im Freiland) zur genaueren Simulation natürlicher Bedingungen, scheinen transgene Kreuzungen ein dominantes Wettbewerbsverhalten aufzuweisen und die Vermehrung der nicht transgenen Lachse zu den transgenen (wild lebenden) Lachsen im Verhältnis von jeweils 54 und 82 Prozent zu unterdrücken.“
„Letztlich vermuten wir, dass Kreuzungen von transgenen Fischen mit nahe verwandten Arten potenzielle ökologische Risiken für die Wildpopulationen darstellen und ? wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit ? ein möglicher Weg für das Eindringen einer neuen Spezies in die Natur sind ... Komplexe konkurrierende Wechselwirkungen, die mit der Genveränderung und der Kreuzung verbunden sind, könnten erhebliche ökologische Folgen für den wildlebenden Atlantischen Lachs haben, sollten sie jemals in der Natur miteinander in Kontakt kommen.“
Wie in der offiziellen FDA-Erklärung festgestellt, schließt man dort die Gefahr aus, dass der genveränderte und gekreuzte Lachs in die Natur entkommt, weil – wie die FDA behauptet ? das Unternehmen in der Zuchtanlage strenge Kontrollen unterhält … und das in Panama.
Panama ist nicht gerade für strenge Sicherheitsstandards in der Tierzucht bekannt. Selbst wenn das der Fall wäre, entschied sich die FDA, über die Tatsache hinwegzugehen, dass die Anlage für GMO Lachse der Firma Aquabounty in Panama wiederholt von der Behörde Panamas wegen Umweltverstößen ein Bußgeld auferlegt bekam.
Darunter fiel ein Sicherheitsverstoß, der in Panama zum „Verlust“ von Lachsen geführt hatte, und die Tatsache, dass Aquabounty im Jahr 2013 die „strenge Sicherung“ ihrer Hauptanlage in Panama an einen unbekannten, selbstständigen Unternehmer ausgegliedert hat, damit dieser die Sicherung der Anlage und andere täglich anfallende Aufgaben wahrnimmt. Im Sommer 2014 verstarb der unabhängige Vertragspartner und ließ die Verwaltung der Einrichtung über Wochen in der Schwebe. Die Unterzeichnung eines neuen Vertrags mit neuen Betreibern steht noch aus.
Wenn das nicht genug Grund für die Ablehnung der Sicherheitsbehauptungen von Aquabounty ist, sollte der Plan des Unternehmens, die Eier seiner GVO-Hybrid-Lachse weltweit an Fischfarmer zu verkaufen, schon Grund genug gewesen sein, die Lizenz zu verweigern.
Werden die GMO Lachseier weltweit an Lachszüchter als Kosten senkende, schnell wachsende Lachs-Eier verkauft, dann werden diese ohne Zweifel schließlich auch an gewöhnliche Züchter mit durchlässigen Netzbehältern, dem Standardsystem für die Lachse-Haltung der Aquakultur-Industrie, verkauft werden. Das ist bezeichnenderweise eine Form der Haltung, aus der in der Vergangenheit Millionen Zuchtlachse entkommen sind.
Bei der Bewertung der Sicherheit verletzte die FDA gängige Standards wissenschaftlicher Sicherheitstests. Sie enthielt keine detaillierte Analyse der gefährlichen Schwachstellen im System der Lachs-Haltung bei Aquabounty und keine Prüfung der Konsequenzen, sollten GVO Lachse des Unternehmens entkommen.
Auch fehlte eine formale „Unsicherheitsanalyse“. Anne R. Kapuscinski, Professorin für Umweltstudien am Dartmouth College und Koautorin eines Buches über wissenschaftliche Risikobewertung bei der Haltung genmanipulierter Fische, sagte, die Umweltprüfung der FDA „käme nicht annährend an die üblichen Standards der Risikobewertung heran“.
Die wissenschaftliche Bewertung der FDA, die zur Genehmigung geführt hatte, war mehr als mangelhaft in Bezug auf das, von dem sie behauptete, es habe sich um „solide Wissenschaft und umfassende Überprüfung“ gehandelt.
Die FDA hat geschickt einen Trick angewandt. Die Bewertung des gekreuzten GVO-Lachs der Firma Aquabounty sowie eine Reihe anderer derartiger GVO-Anmeldungen für Tiere, die in Zukunft eine FDA-Zulassung erwarten, werden nach der Kategorie „neue Heilmittel für Tiere“ (sic!) durchgeführt.
Das erlaubt es der FDA, die übliche Hinzuziehung von anderer Ämtern zu umgehen, die ? wie die Nationale Ozean- und Atmosphärenverwaltung (NOAA), der Nationale Seefischerei Service (NMFS), die US Fisch- und Wildtier-Dienste oder die Umweltschutzbehörde ? die über aktuelle Erfahrungen in Bereichen wie Fischzucht und ökologische Risiken verfügen. Aufgrund von Bedenken wegen der Geschäftsgeheimnisse, findet das Verfahren auch meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Der Leser sollte entscheiden, ob die FDA sich nur eines einfachen schlampigen Vorgehens schuldig gemacht hat, oder einer vorsätzlichen, bösartigen Handlung.
Wenn man zulässt, dass diese Entscheidung Bestand erhält, und GVO-Tierprodukte in den Regalen unserer Supermärkte nicht als solche ausgewiesen werden, wie es die FDA entschieden hat, dann wird die Zukunft unserer Nahrungsmittel wirklich zu Frankensteins Haus.