Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (3)

Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (3)

Heute bekommen Sie den Teil 3 einer kleinen Serie mit dem Titel „Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser?“ Die beiden ersten Teile finden Sie bereits im Archiv:

Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (1)
Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (2)

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Ökosystem im Blick

Die Lücke zwischen humantoxikologischer und ökologischer Bewertung wollen auch die Wissenschaftler des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) schließen helfen. "Pharmaka im aquatischen Ökosystem" (PAKT) heißt das Projekt, das seit 2008 aus Mitteln des Leibniz-Wettbewerbsverfahrens im Pakt für Forschung und Innovation finanziert wird. In verschiedenen Teilprojekten wird die biologische Wirkung von pharmazeutisch aktiven Wirkstoffen (PhAC) bei Blau- und Grünalgen, Makrophyten sowie wirbellosen Tieren untersucht. Die Synthese der Erkenntnisse aller Teilprojekte soll die Grundlagen für eine vergleichende Risikobewertung für anthropogen beeinflusste Gewässer schaffen.

Die Berliner Wissenschaftler beobachten auch, wie sich Wirkstoffe im Gewässer verteilen; dies ist ein für die Risikobewertung wesentlicher Aspekt. Wenn die Substanzen in der Mitte der Gewässer auf den Boden absinken, wäre das vergleichsweise unproblematisch. Reichern sie sich aber an den Ufern an, könnte es schon kritischer werden, da dann ein Übergang ins Grundwasser wahrscheinlicher ist. Doch dazu liegen noch keine abschließenden Daten vor.

Wie entsteht unser Trinkwasser?

Grundwasser ist die wichtigste Quelle für Trinkwasser: Zu gut zwei Dritteln wird Trinkwasser in Deutschland aus Grundwasser gewonnen. Der Rest stammt aus Flüssen, Seen oder Stauseen, aus Uferfiltrat sowie angereichertem Grundwasser. Uferfiltrat setzt sich aus Fluss- und Grundwasser zusammen und wird aus Brunnen in der Nähe von Flussufern gewonnen. Fehlt es an natürlichem Grundwasser, wird angereichertes Grundwasser künstlich erzeugt, indem man Oberflächenwasser über Brunnen oder Teiche versickern lässt. Durch die Bodenpassage werden Schadstoffe zumindest teilweise abgebaut.

Endokrinologisch aktive Substanzen

Besondere Aufmerksamkeit richten die Ökologen auf natürliche oder synthetische Hormone, die als Arzneistoffe eingesetzt werden. Schon seit längerem stehen diese im Verdacht, bei männlichen Fischen Veränderungen hervorzurufen, die zur Bildung weiblicher Geschlechtsorgane führen. Dies wurde bislang vor allem bei Flussfischen, neuerdings aber auch bei Meeresfischen beobachtet.

Im Rahmen von PAKT untersuchten Wissenschaftler des IGB die Auswirkungen des in oralen Kontrazeptiva enthaltenen Gestagens Levonorgestrel. Die Wissenschaftler überprüften steigende Konzentrationen von Levonorgestrel an der Wandermuschel (Dreissena polymorpha) und beobachteten, wie sich Biomarker für Biotransformation, Ausscheidung, antioxidative Aktivität und Proteinaufbau verändern. Je mehr Hormon die Forscher einsetzten, desto mehr Enzyme wie Glutathion-S-Transferase bildete die Muschel, offenbar um Ausscheidungsprozesse anzustoßen. Auch Schäden der Proteinsynthese fielen den Wissenschaftlern auf: Die Wandermuschel stellte deutlich mehr Hitzeschockproteine her, deren Aufgabe es ist, an der Formgebung und Faltung von Proteinen mitzuwirken und so die zellulären Funktionen aufrechtzuerhalten. „Besonders überrascht hat uns, dass Levonorgestrel auch die Entwicklung der Schilddrüse von Fröschen beeinträchtigt“, berichtet Kloas.

Antibiotika in der Kläranlage

Antibiotika scheidet der Mensch teils unverändert, teils metabolisiert aus. Was damit in der Kläranlage passiert, ist nicht für alle Substanzen geklärt.

Neben den endokrinologisch wirksamen Substanzen stehen vor allem Antibiotika im Fokus der Ökologen. Auf der ganzen Welt wurden in gereinigtem Abwasser Antibiotika nachgewiesen, was erhebliche Probleme nach sich ziehen könnte. Zum einen beeinträchtigen Antibiotika im Abwasser möglicherweise die biologische Abwasserreinigung und greifen Mikroorganismen im Wasser und in den Böden an. Zum anderen kann die Verbreitung von Antibiotika in der Umwelt zur Entwicklung resistenter Bakterien führen und das Entstehen von Mehrfachresistenzen fördern.

Antibiotika gelangen auf unterschiedlichen Wegen in die Gewässer. In der Humanmedizin werden Antibiotika vom Patienten zum Teil unverändert, zum Teil in Form ihrer Metaboliten ausgeschieden. Werden sie in der Abwasserreinigung nicht vollständig entfernt, können sie in Fließgewässer oder auch ins Grundwasser gelangen. Veterinärantibiotika versickern oder werden in Flüsse und Seen geschwemmt, wenn Antibiotika-haltiger Mist oder Gülle auf landwirtschaftliche Nutzflächen ausgebracht werden.

„Während Penicilline in Kläranlagen rasch gespalten werden, scheint der Abbau von Cephalosporinen problematischer zu sein“, berichtet Professor Dr. Klaus Kümmerer von der Leuphana-Universität in Lüneburg. „Kritisch zu werten sind vor allem Sulfonamide, Chinolone, Tetracycline und Makrolide. Wir wissen noch wenig darüber, wie sich diese Substanzen, aber auch eventuell toxische Abbauprodukte auf das Ökosystem auswirken. Gefahren für gesunde Menschen sehe ich derzeit nicht, aber für immunsupprimierte Patienten sind sie wohl nicht auszuschließen.“

Inerte und hochtoxische Wirkstoffe

Ein Spezialfall unter Arzneimitteln stellen iodierte Röntgenkontrastmittel wie Iopromid oder Amidotrizoesäure dar, die der Mensch mit dem Urin unmetabolisiert ausscheidet. Auch in Kläranlagen werden sie kaum eliminiert. Die in Gewässern gemessenen Konzentrationen liegen im Mittel im Bereich von wenigen Milliardstel bis zu einigen Millionstel Gramm pro Liter. Die höchsten Konzentrationen wurden in den ufernahen Grundwässern gefunden. Ihre extrem gute Grundwassergängigkeit ist vermutlich Folge ihrer hohen Polarität sowie der biochemischen Stabilität.

Die LANUV-Studie zeigte keine Wirkungen von Röntgenkontrastmitteln auf aquatische Organismen. Das ist auch plausibel, da sie aufgrund ihrer chemischen Inertheit für die Röntgendiagnostik eingesetzt werden. Allerdings können sich die Substanzen gerade wegen ihrer Persistenz in der Umwelt anreichern. Was das langfristig bedeutet, ist noch wenig erforscht.

Ganz anders ist die Situation bei den Zytostatika, die schon in geringen Konzentrationen auf verschiedene Organismen sehr spezifisch wirken. So beeinträchtigte Fluorouracil bereits im Bereich von wenigen Mikrogramm pro Liter das Wachstum von Algen. Hier sind weitere Forschungen dringend nötig.

Risikobewertung vor der Zulassung

Auch die Politik hat die Auswirkungen von Pharmaka auf die Umwelt im Blick. Die EU-Richtlinie 2004/27/EG schreibt sowohl für Veterinär- als auch für Humanarzneimittel vor, bei Neuzulassungen das Umweltrisiko zu bewerten. Die fachliche Bewertung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) obliegt in Deutschland dem Umweltbundesamt (UBA), das den Arzneistoff in Abstimmung mit dem für die Arzneimittelzulassung zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bewertet.

Die Einschätzung des Umweltrisikos erfolgt in zwei Stufen. In der ersten Phase wird die Umweltkonzentration überschlägig bestimmt (Predicted Environmental Concentration, PEC). Dabei werden die jährliche Produktionsmenge des Arzneistoffs sowie ein aus der Verbreitung errechneter Faktor einbezogen, außerdem die Abwassermenge pro Einwohner und die zu erwartende Verdünnung. Ergibt diese Berechnung eine PEC unter 0,01 μg/l und liegen keine anderen Anhaltspunkte für eine Umweltgefährdung vor, wird die Substanz nicht weiter untersucht.

Ergibt sich eine PEC über 0,01 μg/l oder liegen Hinweise auf eine Umweltrelevanz auch in niedrigeren Konzentrationen vor, wird der Wirkstoff weiter geprüft. Dazu stellt der Hersteller die chemischen Parameter der Substanz zusammen, überprüft die Bioabbaubarkeit des Arzneistoffs und untersucht die Ökotoxizität meist an je einer Art von Algen, Wasserflöhen und Fischen.

Eine Umweltverträglichkeitsprüfung müssen nur neu zugelassene Medikamente durchlaufen. Arzneimittel, die ihre Zulassung vor dem Inkrafttreten der EG-Vorschriften zu Umweltprüfungen erhalten haben, brauchen die Prüfung nicht nachzuholen. „Allerdings sind es gerade die älteren Arzneistoffe wie Carbamazepin oder Diclofenac, die wir in den verschiedenen Gewässern in oft erheblichen Mengen vorfinden“, macht von Tümpling deutlich.