Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (1)

Arzneimittelrückstände: Wie belastet ist unser Wasser? (1)

Fische leiden an bislang unbekannten Nierenschäden; männliche Regenbogenforellen verweiblichen; Muscheln geben ihren Samen ab, bevor die Weibchen Eizellen produziert haben. Arzneimittelrückstände im Wasser sind zwar (noch!) so gering, dass sie Menschen nicht gefährden, aber mitunter das empfindliche Ökosystem stören.

Bisher wurden knapp 100 unterschiedliche Arzneistoffe in Flüssen und Seen gefunden. „Für Menschen sind die Konzentrationen im Wasser wohl zu gering, um eine direkte gesundheitliche Gefahr darzustellen, da sie kaum aufgenommen werden. Sie haben jedoch Folgen für die Wasserbewohner“, erläutert Professor Dr. Werner Kloas vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässer¬ökologie und Binnenfischerei (IGB).

Tatsächlich lassen Estrogene aus oralen Kontrazeptiva, die mit dem Urin ausgeschieden werden, Forellen verweiblichen. Diclofenac geht Fischen an die Nieren, und die Reste von Oseltamivir bringen den Paarungstakt der Muschel durcheinander. Einzelne Tier- und Pflanzenarten reagieren mitunter besonders empfindlich auf einen bestimmten Wirkstoff: Diclofenac hat in Pakistan und Indien zum fast vollständigen Aussterben von drei Geierarten geführt. Die Greifvögel hatten sich von verendeten Rindern ernährt, die mit dem Antirheumatikum behandelt worden waren.

Wie Arzneimittel auf Menschen wirken, ist gut untersucht. Denn ein neuer Arzneistoff wird während der Entwicklung auch auf toxische Eigenschaften geprüft, jedoch in erster Linie an Säugetieren wie Mäusen, Ratten oder Hunden. Um eine Gefährdung für die Umwelt abzuschätzen, bringen diese Daten wenig, denn Arzneimittel beeinflussen in Fischen, Wasserflöhen, Algen, Mückenlarven und Mikroorganismen meist andere Mechanismen als im Säuger.

Antidepressivum macht Vögel lustlos

Medikamente wirken - und das auch noch, wenn sie ausgeschieden werden und mit dem Abwasser in die Umwelt gelangen. Das kann Folgen für Tiere und Pflanzen haben.

Der gegen Depressionen verschriebene Wirkstoff Fluoxetin sollte nicht in größeren Mengen in die Umwelt gelangen, warnen Forscherinnen. Sie hatten beobachtet, dass schon geringste mit dem Futter aufgenommene Mengen das Verhalten von Vögeln drastisch verändern können: Weibliche Stare (Sturnus vulgaris) zeigten dann unter anderem keinerlei Interesse mehr an Balzpartnern.

Die Forscherinnen hatten zuvor ausgerechnet, welche Fluoxetinmengen unter natürlichen Bedingungen überhaupt in Singvögel gelangen könnten. Dazu untersuchten sie unter anderem Regenwürmer, die in abwassergesättigten Böden lebten, und stellten fest, dass in den Würmern rund drei bis fünf Prozent der Fluoxetinkonzentration zu finden sein kann, die nach einer Behandlung auch in Patienten nachweisbar ist. Mit den Würmern reichert sich der Wirkstoff dann im Vogel an.

Unter kontrollierten Bedingungen gaben die Forscherinnen nun im Experiment Staren eine vergleichbare Dosis von Fluoxetin und analysierten deren Verhalten im Vergleich zu nicht behandelten Exemplaren. Neben der Lustlosigkeit hatten die Tiere offensichtlich auch weniger Appetit. Ihre Stimmung – ermittelt in typischen Verhaltensexperimenten, die etwa Angst- und Stressreaktionen messen – änderte sich dagegen wohl nicht, schlussfolgern die Forscher vorsichtig. Es sei aber auch nicht zu erwarten, dass der SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) Fluoxetin im Hirn der Vögel ähnlich arbeite wie im Menschen.

Erneut Rückstände im Trinkwasser aufgetaucht

Die Verbraucherzeitschrift „Ökotest“ hat bei einer bundesweiten Untersuchung vor allem im Trinkwasser von Kommunen an Rhein und Ruhr vermehrt Rückstände des medizinischen Kontrastmittels Gadolinium festgestellt. Eine Gesundheitsgefahr sei von den gemessenen Konzentrationen nicht zu erwarten, heißt es ausdrücklich. Gleichwohl dürfte die Untersuchung die Debatte neu befeuern, wie das Trinkwasser in Nordrhein-Westfalen noch besser werden kann. Denn, soviel steht fest: Kontrastmittel gehört da ebenso wenig hinein wie andere Arzneimittelrückstände.

Gadolinium ist ein Metall, das vor Tomographie-Untersuchungen gespritzt wird. Patienten scheiden es später über den Urin aus, so gelangt es ins Abwasser – und weil Kläranlagen den Stoff in der Regel nicht „knacken“ können, dann auch in die Flüsse. Erhöhte Konzentrationen haben die „Ökotester“ u. a. in Oberhausen, Essen, Bottrop und Mülheim gefunden, in Düsseldorf waren die Werte „leicht erhöht“. Die Tester führen das darauf zurück, dass das Trinkwasser überall dort vorwiegend aus Uferfiltrat gezogen wird.

Einen vorgeschriebenen Grenzwert für Gadolinium gibt es nicht, lediglich einen „Orientierungswert“ von 100 Nanogramm je Liter Trinkwasser, bei dem Experten keine Gesundheitsgefahren sehen. Von diesem Wert waren die jetzt gemessenen Höchstkonzentrationen von 34 bis 40 Nanogramm weit entfernt. Erledigt ist der Fall für die Ökotester damit aber noch lange nicht. Sie verweisen darauf, dass die Folgen einer Langzeitaufnahme von Gadolinium nicht untersucht seien.

In NRW berührt die Untersuchung eine empfindliche Diskussion. Seit dem Skandal um die Chemikalie PFT hatten sich Versorger immer wieder für die Qualität ihres Trinkwassers rechtfertigen müssen, wobei die streng kontrolliert wird und den gesetzlichen Anforderungen voll und ganz genügt. Gleichwohl ist Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) dahinter her, dass mit immer besseren Filteranlagen auch das Trinkwasser besser wird. „Wir nehmen das Thema Mikroschadstoffe im Wasser sehr ernst“, heißt es im Ministerium. Auch Rückstände des Schmerzpräparats „Voltaren“ im Ruhrwasser hatten für Diskussionen gesorgt. Mit den Wasserversorgern vor Ort wird derzeit die Strategie „Reine Ruhr“ umgesetzt. Bis zum Jahr 2018 läuft in den Wasserwerken eine 300 Millionen Euro teure Aufrüstung. Um dieses Paket hatte Remmel mit den Versorgern lange gerungen.

Schadstoffe teuer aus dem Wasser zu filtern, ist der eine Weg. Besser aber ist: Sie kommen gar nicht hinein. Mit Trinkwassergewinnung hat die Emschergenossenschaft nichts zu tun, wohl aber mit Abwasser. Sie beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der Frage, wie Mikroschadstoffe aus dem Wasser rausgehalten werden können. „Schwer abbaubare Röntgenkontrastmittel sind das Hauptproblem“, erklärte Sprecher Ilias Abawi gegenüber der NRZ. Er verdeutlichte die Dimensionen: „Es geht um Konzentrationen wie bei einem im Essener Baldeneysee vesenkten Zuckerwürfel.“ Gleichwohl sei es wichtig, etwas zu tun: Hormone aus Rückständen der Antibabypille etwa sorgten im Wasser von Flüssen dafür, dass Fische „verweiblichten“.

Näher ran an die Verursacher, lautet die Devise bei der Emschergenossenschaft. Unter ihrer Federführung wurde im Jahr 2009 auf dem Gelände des Gelsenkirchener Marienhospitals eine Spezialkläranlage gebaut, welche die Klinikabwässer reinigt, noch ehe sie in die Emscher gelangen. Mit Membran- und Aktivkohlefiltern sowie einer Ozonreinigung ist modernste Technik im Einsatz. „Untersuchungen haben aber gezeigt, dass trotzdem noch 10% der Spurenstoffe im Wasser verbleiben“, erklärt Abawi.

Nun wollen Emschergenossenschaft und Klinik noch einen Schritt weiter gehen: Der mit Kontrastmittel belastete Urin soll erst gar nicht in die Klinik-Kläranlage. Tomographie-Patienten können sich vom 15. bis 28. September freiwillig an einem Pilotprojekt beteiligten. Der belastete Urin wird mit Beuteln aufgefangen, mit Gel eingedickt und im regulären Müll entsorgt. Zeitgleiche Messungen im Wasser der Kläranlage sollen dann Aufschluss geben, wie sich die Schadstoffbelastung bessert.