Adelle Davis: Die essentiellen Fettsäuren (Teil 2)

Heute also wie versprochen die Fortsetzung zum Thema "Fette" und die Antwort von Adelle Davis auf die Frage "Warum macht fettarme Diät übergewichtig".

Hier ist der Text von Adelle Davis:

Es gibt drei Gründe, weshalb fettarmes Essen wahrscheinlich zu Übergewicht führt. Erstens sind viele dickaussehende Menschen nur voller Wasser. Durch eine geeignete Ernährung, die Salatöl einschließt, verlieren sie oft viele Pfunde. Zweitens hat man durch den sogenannten »respiratorischen Quotienten« bewiesen, daß der Körper Zucker viel schneller als normal in Fett verwandelt, wenn die essentiellen Fettsäuren in der Nahrung fehlen. Dr. Bloor hält es für denkbar, daß es sich um einen Versuch des Körpers handelt, fehlende Substanzen so schnell wie möglich herzustellen. Da der Blutzucker durch diese rasche Umwandlung sehr schnell fällt, entsteht ein rasendes Hungergefühl; daraufhin wird zuviel gegessen, und das Gewicht steigt an. Drittens haben Fette einen höheren Sättigungswert als andere Nahrungsstoffe. Wenn Sie nicht bei jeder Mahlzeit 100 Kalorien in Form von Fett zu sich nehmen, werden Sie so hungrig, daß Sie ohne Mühe 500 Kalorien in Form von Stärke oder Zucker essen, nur weil Sie nicht widerstehen können. Dann aber schleichen sich unerwünschte Pfunde heran.

Auch um die Produktion von Gallenflüssigkeit und des fettverdauenden Enzyms »Lipase« anzuregen, wird eine gewisse Menge Fett benötigt. Nur wenn Fett in den Dünndarm eintritt, entleert sich die Gallenblase kräftig. Ohne den Anreiz durch das Fett wird zu wenig Galle produziert, und die Gallenblase hält die in ihr enthaltene Reservemenge zurück. Diese ungenügende Entleerung könnte mit zur Bildung von Gallensteinen beitragen. Wenn man sehr lange kein Fett ißt, kann die Gallenblase mit der Zeit schrumpfen oder atrophieren. Von besonderer Wichtigkeit ist jedoch, daß die Vitamine A, D, E und K so, wie sie in der Natur vorkommen, ohne Anwesenheit und Hilfe von Fett oder Galle nicht aus dem Darmsystem ins Blut übertreten können. Daher kann bei fettfreier Ernährung oder fehlendem Gallenfluß Mangel an diesen Vitaminen eintreten.

Bevor Fettsäuren ins Blut gelangen, müssen sie sich zunächst mit Gallensalzen verbinden. Wenn sie die Darmwand passiert haben, verbinden sie sich wieder mit Glyzerin zu neutralen Fetten, die als kleine Tröpfchen im Blut und in der Lymphe transportiert werden. Davon entnimmt jede der Milliarden Körperzellen so viel an essentiellen Fettsäuren, wie sie zur Zellregeneration, und so viel an Fett, wie sie zur Energieerzeugung benötigt. Die Leber speichert etwas Fett, um dieses später als Energiequelle an das Blut zurückzugeben. Der Rest wird aufbewahrt, leider gewöhnlich an Stellen, wo man es am wenigsten wünscht.

Eine kleine Menge an gespeichertem Fett ist jedoch vorteilhaft. Das Fett, das die Nieren umgibt, dient als Stütze. Eine dünne Schicht Fett unter der Haut ist ein Schutz für Muskeln und Nerven und hilft mit, die Körpertemperatur gleichmäßig zu halten. Eine gewisse Fettreserve bedeutet eine wertvolle Energiequelle bei Krankheiten oder Hungerperioden. Übermäßige Fettspeicher sind natürlich unerwünscht.

Manchmal wird zum Backen, für Salatsoßen oder auch als Abführmittel Mineralöl verwendet. Dieses Öl ist jedoch unverdaulich und hat daher keinen Nährwert. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, daß etwa 60 Prozent des Mineralöls, die den Darm erreichen, ins Blut übertreten. Während dieses Öl im Blut zirkuliert, absorbiert es die Vitamine A, D, E und K und hält sie fest, bis sie später mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Auf diese Weise entsteht ein Mangel an diesen wertvollen Stoffen. Obwohl die schädliche Wirkung der Mineralöle nun schon seit mehr als 40 Jahren bekannt ist und die Ärzte in den medizinischen Zeitschriften immer wieder davor gewarnt werden, sie zu verordnen, werden sie auch heute noch vielfach als Abführmittel verwendet. Ich persönlich hätte Angst, solche Öle in Babyöl, Hautcreme und sonstigen Kosmetika zu benutzen.

Unraffiniertes Pflanzenöl liefert uns Vitamin E, während tierische Fette wie Butter, Sahne und Eidotter Träger von Vitamin A sind. Fischlebertran liefert Vitamin A und D. Tierische Fette enthalten zudem einen Verwandten der Fettfamilie, den man Cholesterin nennt, ein Stoff, der von der Leber produziert wird. Untersuchungen haben gezeigt, daß man bei einer an tierischen Fetten reichen Ernährung etwa 800 Milligramm Cholesterin pro Tag aufnimmt; die Leber eines normalen Erwachsenen produziert täglich 3000 Milligramm und mehr. Cholesterin ist das Rohmaterial für Vitamin D, Sexual- und Nebennierenhormone sowie Gallensalze. Die Tatsache, daß Cholesterin in so wichtigen Geweben wie dem Gehirn und den Nerven besonders konzentriert vorkommt, zeigt uns, daß ihm wichtige, aber noch unbekannte Funktionen zur Aufrechterhaltung der Gesundheit zukommen.

Einen anderen Verwandten der Familie der Fette, das Lecithin, gewinnt man aus allen natürlichen Ölen und aus dem Fett von Eigelb, Leber und Gehirn. Lecithin ist eine ausgezeichnete Quelle für die beiden B-Vitamine Cholin und Inositol. Je mehr Fett man ißt, desto höher ist der Bedarf an diesen zwei Vitaminen. Wenn genug Cholin, Inositol und essentielle Fettsäuren vorhanden sind, dann kann Lecithin in der Darmwand hergestellt werden. Lecithin scheint ein »homogenisierender« Faktor zu sein, der imstande ist, Fett und wahrscheinlich auch Cholesterin in ganz kleine Teilchen zu zerlegen, die dann ohne Mühe in die Gewebe hineinschlüpfen können. Es gibt Beweise, daß ein Koronarverschluß mit einem Mangel an Linolsäure, den beiden B-Vitaminen Cholin und Inositol und vielleicht auch Lecithin selbst zusammenhängt. Zum Bild des Koronarverschlusses gehört nämlich, daß große Stücke Cholesterin in den Wänden der Arterien steckenbleiben. Es wäre denkbar, daß bei normaler Lecithinproduktion diese groben Cholesterinbrocken in kleinere Stücke zerteilt werden. Wenn Öle raffiniert oder hydriert werden, geht Lecithin verloren. Vitamin E, das in unraffiniertem Pflanzenöl vorkommt, ist ein Oxydationshemmer, der das Ranzigwerden verhindert. Wenn Vitamin E im Essen erhalten bleibt, verhütet es, daß sich Sauerstoff mit Karotin und den Vitaminen A, D und K verbindet und diese zerstört. Auch im Körper bewahrt Vitamin E diese Vitamine vor der Berührung mit Sauerstoff und schützt zugleich die Nebennieren- und Sexualhormone, wodurch der Sauerstoffbedarf insgesamt herabgesetzt wird. Leider wird Vitamin E selbst leicht durch Sauerstoff zerstört. Wenn also Öle raffiniert oder hydriert werden, geht dieses Vitamin vollkommen verloren.

Das Essen ranziger Fette kann zu schwerem Vitaminmangel führen. Vitamin E geht bei Anwesenheit ranziger Fette im Essen oder sogar im Darm oder im Blut schnell zugrunde. Vitamin A und K und verschiedene B-Vitamine können ebenfalls auf diese Weise verlorengehen. Als erste Reaktion sagen Sie vielleicht, daß Sie bestimmt nie ranziges Fett essen, doch wenn Sie einmal darauf achten, werden Sie erstaunt sein, wie oft man Ihnen leicht ranzige Nahrungsmittel vorsetzt. Wir haben wahrscheinlich alle bereits Schinken, Wurst, Speck, Mayonnaise oder Butter serviert, die schon etwas ranzig waren. Der Grund, weshalb Kinder Weizenkeime so oft nicht mögen, ist, daß die Mutter sie ihnen, ohne es zu wissen, in leicht ranzigem Zustande gibt. Wenn man eine Dose mit Schinkenspeck wochenlang nahe beim Kochherd stehenläßt, um sie zum Braten griffbereit zu haben, so hat man damit eine ständige Quelle für ungesundes, ranziges Fett. Fertige Kuchen und Kuchenmischungen, Kartoffel-Chips, Mais-Chips, Popcorn, gesalzene Nüsse, gemahlene Nüsse und ähnliche Nahrungsmittel, die zu lange lagern, sind oft ranzig. Die Nuß- und Popcorn-Automaten an öffentlichen Plätzen werden warm gehalten, um frische Produkte vorzutäuschen. Gerade deswegen sind sie so gefährlich, daß man diese Art von Verkauf nicht mehr erlauben sollte.

Bei der Hydrierung von Fetten wird Wasserstoff an die freien Kettenglieder der essentiellen Fettsäuren angehängt, die damit ihren gesundheitsfördernden Wert verlieren. Solche Fette liefern zwar noch Kalorien, doch weiter nichts: Sie können nicht ranzig werden, haben aber auch keinerlei Wert für das Leben von Mensch und Tier. Jedes Jahr wird die Liste länger; Margarine, hydrierte Kochfette, Schmelzkäse und jetzt auch Erdnußbutter, früher eine so ausgezeichnete Nahrung für Kinder, und sogar Speck. Doch wenn Sie Glück haben, können Sie noch hier und da ein Geschäft finden, wo Erdnüsse in einer Mühle gemahlen werden und unverdorbene Erdnußbutter vor Ihren Augen entsteht. Man kann noch altmodischen Käse und natürlichen Speck kaufen. Französische Salatsoße, Mayonnaise und Salatöle sind offenbar die einzigen guten Quellen essentieller Fettsäuren, die es noch gibt. Auch in Reformhäusern kann man Öl kaufen, das nicht mit Hitze behandelt ist und noch Vitamin E enthält.

Da Butter arm an essentiellen Fettsäuren ist und man Margarine mit Vitamin A anzureichern pflegt, sind beide in mancher Hinsicht gleichwertig. Sommerbutter freilich, soforn sie aus unpasteurisierter Sahne hergestellt ist, enthält ein Vitamin, das unter dem Namen »Wulzenfaktor« bekannt ist und eine arthritisartige Krankheit bei Tieren verhütet.

Neben Fettquellen, die ohne weiteres als solche zu erkennen sind, gibt es eine weit größere Menge »verborgener« Fette: in Käse, Eidotter, Speck, Avocadobirnen, Nüssen, Erdnußbutter und magerem Fleisch, Fisch und Wild. Niemand weiß, wieviel Fett ein Mensch braucht. Das hängt von seiner Tätigkeit, seiner Größe, dem Klima und vielen anderen Faktoren ab. Wer gern Salatsoßen ißt und ein normales Gewicht hat, bekommt wahrscheinlich alles, was er braucht. Leute, die absichtlich wenig Fett essen, erhalten wahrscheinlich zu wenig an wichtigen Fettsäuren, um gesund bleiben zu können.

Der Verbrauch von Fetten, und zwar vorwiegend gesättigten und raffinierten, hat sich während dieses Jahrhunderts verdoppelt. Eine Folge davon ist die Zunahme von Herzkrankheiten, Fettsucht und den damit zusammenhängenden Krankheiten.

Die Lebenserwartung der amerikanischen Männer ist, im Vergleich mit denjenigen anderen Nationen, vom 11. Platz im Jahre 1949 auf den 37. Platz im Jahre 1966 zurückgefallen. Jedes Jahr sterben immer jüngere Männer an Herzinfarkt. Wegen der enormen Mengen fettiger Hamburger und in hydriertem Fett gebackenen Kartoffeln, die in den letzten 20 Jahren verzehrt wurden, können wir bald Todesfälle dieser Art bei 30- und sogar 20jährigen erwarten. Um gesund zu bleiben, sollte man sich an einige allgemeine Regeln halten: Essen Sie keine hydrierten Fette, keine hydrierte Erdnußbutter, Schmelzkäse, harte Kochfette und keine frittierten Nahrungsmittel, die in solchem Fett zubereitet wurden. Essen Sie wenig hartes oder gesättigtes Fett vom Rind oder Lamm und statt dessen mehr Fisch und Geflügel, die weniger gesättigte Fette enthalten. Essen Sie nichts, worin Kokusnuß- oder Palmöl enthalten ist. Diese beiden gesättigten Fette verwendet man zur Herstellung falscher Sahne, angereicherter Milch und sogar zu Babynahrung. Nehmen Sie mindestens ein bis drei Teelöffel Pflanzenöl täglich. Benutzen Sie unraffinierte oder kaltgepreßte Öle und bewahren Sie diese im Kühlschrank auf. Wenn Fett so behandelt ist, daß es nicht ranzig werden kann, kaufen Sie es nicht. Wenn Fett ranzig wird, werfen Sie es weg.

Quelle: Adelle Davis: „Jeder kann gesund sein“, Originaltitel: „Let’s eat right to keep fit“ (1970)