Ist Glyphosat krebserregend? Neue Erkenntnisse

Ist Glyphosat krebserregend? Die Diskussion um Glyphosat und mögliche Krebsrisiken nimmt kein Ende: Haben die Europäische Lebensmittelbhörde (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei ihren Beurteilungen des Herbizids Glyphosat mögliche Krebseffekte schlicht übersehen? Ja, meint das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN), das jetzt eine Analyse der Original-Studienberichte der Industrie vorgenommen hat.

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Wurden bedeutsame Krebseffekte übersehen?

Ein Teil der Antwort auf diese Frage liegt in Studien der Hersteller des Unkrautvernichtungsmittels, die nun ein Krebsforscher genauer untersucht hat: Er fand acht Tumorbefunde in Tierstudien, die von den Behörden bisher nicht berücksichtigt worden waren. Damit wäre man bei 21 signifikanten Befunden - anstelle von anfangs vier. Der Krebsforscher Christopher Portier hat sich deshalb in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gewandt.

Zulassungsverlängerung geplant

Erst vor rund zwei Wochen wurde publik, dass die EU-Kommission eine Zulassungsverlängerung von Glyphosat für zehn Jahre plant. Die nun von Portier, dem Ex-Direktor des US National Toxicology Program, angeführten acht „übersehenen“ Befunde sind deshalb interessant, da sie im Zulassungsantrag der Glyphosate Task Force (Zusammenschluss von 25 Glyphosat-Herstellern, Anmerkung) nicht offengelegt worden sind, aber in den ebenfalls eingereichten Originalstudien dokumentiert wurden. Der Wissenschaftler konnte deswegen Einsicht in die Studien nehmen, da diese aufgrund eines Antrags der Grünen im Europaparlament teilweise offengelegt wurden.

Widersprüchliche Behörden

Portier weist in dem Brief darauf hin, dass die EU-Behörden bereits 2015 durch einen Bericht der WHO-Krebsagentur darauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Angaben der Industrie über ihre Krebsstudien nicht korrekt waren. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) musste seine Auswertung daraufhin evaluieren. Das führte dazu, dass das BfR im August 2015 in seinem Anhang 13 signifikante Befunde anstelle von ursprünglich nur vier statistisch signifikanten Krebsbefunden anführte.

Der Grund, weshalb das deutsche Bundesamt für Risikobewertung (BfR) ursprünglich nur vier Studien als signifikant erkannt hatte: Die Behörde hatte „auf die statistischen Auswertungen in den Herstellerstudien vertraut“, wie das Institut in seinem Anhang dann zugab. Dabei stufte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine krebserregende Gefahr des häufig eingesetzten und umstrittenen Pestizids als „unwahrscheinlich“ ein - wiederum aufgrund einer Analyse des BfR.

Neue Befunde sollten berücksichtigt werden

Die EFSA hatte im März 2017, nachdem der von Global 2000 publizierte Bericht „Die gekaufte Wissenschaft“ Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit des EU-Zulassungsverfahrens äußerte, gekontert, man würde „in erster Linie auf die Originalstudien und die darin enthaltenen Rohdaten, die sie selbst überprüfen, vertrauen“, zitierte Portier in seinem Schreiben.

Die nun von ihm an den EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker übermittelten Erkenntnisse widersprechen dieser Aussage im Fall der angesprochenen Krebsstudien. Portier fordert in seinem Schreiben unter anderem, dass die neuen Tumorbefunde Eingang in die Bewertung von Glyphosat finden müssen und dass die EFSA im Sinne der wissenschaftlichen Transparenz alle Rohdaten öffentlich zugänglich machen sollte.

Noch keine Reaktion von der EU-Kommission

Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit möchte sich noch nicht zu den Vorwürfen äußern. Auf Anfrage erklärte der Sprecher der EFSA, dass man die Hinweise gründlich prüfen werde, sobald die EU-Kommission die Behörde dazu auffordert.

Das werde in Kürze geschehen, heißt es dazu von der EU-Kommission. Auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) wolle man dazu auffordern. Derzeit sehe man allerdings keinen Grund, an der weiteren Zulassung von Glyphosat zu zweifeln.

Glyphosat-Bericht: „Gekaufte Wissenschaft“

Die Umweltschutzorganisation Global 2000 veröffentlichte kürzlich den Bericht „Glyphosat und Krebs - Gekaufte Wissenschaft“, der unter anderem aufzeigen soll, wie der US-Saatgutriese Monsanto daran beteiligt war, dass das Herbizid weiterhin verwendet werden darf.

Der von Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000, Peter Clausing und Claire Robinson verfasste Bericht enthält zum Teil bekannte Argumente der Glyphosat-Gegner, jedoch hat die Thematik durch die dieses Jahr auslaufende Zulassung des Herbizids und zuletzt auch durch in den USA publik gewordene E-Mails von Monsanto aktuell wieder an Brisanz gewonnen. Diese „legen den Verdacht nahe, dass Monsanto offenbar versucht hat, auf Studien einzelner Forscher Einfluss zu nehmen“, schrieb dazu die „Süddeutschen Zeitung“.

Auch Studien, die keinen Einfluss auf die Zulassung gefunden haben, finden sich in dem Bericht: Burtscher berief sich im einem Hintergrundgespräch unter anderem erneut auf die Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC), die Glyphosat im Jahr 2015 in der Kategorie „2A“ - „wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen“ - eingereiht hatte. Schwere wissenschaftliche Mängel in den Industriestudien seien hingegen der Grund dafür, dass die EU-Institutionen dieser Sichtweise nicht folgen. Zuletzt hatte etwa die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) die Substanz als „nicht krebserregend“ eingestuft.

Gefahr versus Risiko

Der Argumentation der Glyphosat-Befürworter, die IARC werte die Beweislage, dass Glyphosat Krebs auslösen könnte - und nicht das Risiko, tatsächlich an Krebs zu erkranken -, will sich Burtscher nicht anschließen. Dabei würde eine Missachtung des in der EU-Pestizidverordnung von 2011 verankerten „gefahrenbasierten Ansatzes“ erfolgen.

„Die IARC macht seit 40 Jahren nichts anderes, als gefahrenbasiert Krebsgefahren einzustufen - und das nach einem klarem Muster. Die IARC hat den Standard für diese Kunst weltweit vorgegebenen. Die europäischen Institutionen wenden diese ebenfalls an, und sie haben auch im europäischen Gesetz Niederschlag gefunden, indem der gefahrenbasierte Ansatz gewählt wurde“, so Burtscher.

Wissenschaftliche Redlichkeit gefordert

Die IARC stellte in der Begründung zu Glyphosat aufgrund von vier Herstellerstudien auch fest, dass es starke Beweise für eine Genotoxizität als krebserregenden Mechanismus gebe. Auch diese Einschätzung wird von den EU-Behörden nicht geteilt. „Die Gefahr wird geleugnet, indem man der Argumentation eines von Monsanto bezahlten Wissenschaftlers folgt“, so der Vorwurf des Umweltchemikers.

Für Burtscher ist es evident, dass Glyphosat Krebs beim Menschen auslösen kann: „Wie viele Fälle dadurch verursacht werden, weiß keiner. Vielleicht ein paar hundert, vielleicht ein paar tausend, vielleicht Zigtausende - und das ist nicht annehmbar.“ Eine weitere Genehmigung, das Herbizid in der EU weiterhin zu verwenden, sei mit einem inakzeptablen Risiko verbunden. Vermeiden könne man es durch die „Einhaltung der Gesetze und Wahrung der wissenschaftlichen Redlichkeit“, heißt es im Vorwort des Berichts. Die Zulassung läuft jedenfalls mit Ende des Jahres aus. Bis dahin müssen die EU-Staaten in einem Expertengremium eine Entscheidung gefunden haben, ob die Verlängerung genehmigt wird oder nicht.