Ärzte verschreiben Kindern zunehmend Psychopharmaka

Von ADHS bis hin zu sozialen Verhaltensstörungen: Deutschen Kindern und Jugendlichen werden bei psychischen Problemen immer öfter Antipsychotika verschrieben - häufig ohne dass die Medikamente dafür zugelassen sind.

Seit vielen Jahren schon schreibe ich immer mal wieder einen Gesundheitsbrief zur Anwendung von Psychopharmaka. Seit vielen Jahren warne ich vor den - inzwischen sehr wohl bekannten - Nebenwirkungen. Die Praxis der Verschreibung dieser Stoffe hat inflationär zugenommen. Lesen Sie heute wieder einmal einen neuen Bericht zu dieser Katastrophe.

Es ist ein besorgniserregender Trend:

Deutschlands Kindern und Jugendlichen werden immer mehr Psychopharmaka verschrieben - insbesondere dann, wenn sie an der Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ADHS (auch Zappelphilipp-Syndrom genannt) oder an Störungen des Sozialverhaltens leiden.

Von 2005 bis 2012, so das Ergebnis einer Auswertung, die jüngst im "Deutschen Ärzteblatt" erschienen ist, stieg der Anteil jener jungen Patienten, die zur Behandlung ihrer Symptome mindestens ein Neuroleptikum erhielten, um 41,2 Prozent. Neuroleptika, auch Antipsychotika genannt, sind Arzneistoffe aus der Gruppe der Psychopharmaka, die ursprünglich zur Behandlung von psychischen Störungen bei Erwachsenen wie etwa Schizophrenie oder bei Halluzinationen eingesetzt wurden.

Für ihre Analyse werteten die Studienautoren um den Kinder- und Jugendpsychiater Christian Bachmann von der Universität Marburg die Versichertendaten der Barmer GEK von mehr als 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen aus.

Schwere Nebenwirkungen

Bei den klassischen Antipsychotika registrierten die Marburger Forscher zwar einen Rückgang. Diese Medikamente haben schwere Nebenwirkungen und sind eigentlich nur für wenige Krankheitsbilder wie Schizophrenie zugelassen. Die Folge: Mitunter werden sie auch "off-label" eingesetzt, also außerhalb der Zulassung. Bei den atypischen Neuroleptika - die als nebenwirkungsärmer gelten und deren Off-Label-Anteil dafür höher ist - stellten die Wissenschaftler dagegen einen deutlichen Anstieg der Verordnungszahlen fest.

Wurden 2005 insgesamt noch 3611 bei der Barmer GEK versicherte Kinder und Jugendliche bis 19 Jahren mit Neuroleptika behandelt, waren es 2012 schon rund 4518. Allerdings war dieser Trend nur im Westen zu beobachten, in den neuen Bundesländern sanken die Verschreibungen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Behandlung Jugendlicher mit Antipsychotika hinter Nordamerika oder Island - aber etwa vor Italien.

Das am häufigsten eingesetzte Neuroleptikum hierzulande war Risperidon, das 2012 fast in der Hälfte der Fälle (49,6 Prozent) auf dem Rezept stand. 61,5 Prozent der jungen Leute, die das Medikament erhielten, hatten ADHS. In 36,5 Prozent der Fälle gaben die Ärzte das Medikament bei auffälligem Verhalten. Besonders ausgeprägt sei der Griff des Arztes zur Pille bei den 10- bis 19-Jährigen und den männlichen Versicherten, betonen die Forscher.

Obwohl sie weniger Nebenwirkungen haben sollen, haben mittlerweile verschiedende Studien gezeigt, dass atypische Antipsychotika wie Risperidon dennoch erhebliche Probleme bereiten können: Behandelte Kinder und Jugendliche legen beispielsweise deutlich an Gewicht zu oder entwickeln mitunter motorische Störungen.

Doch wie lässt sich der Anstieg der Verordnungen erklären?

Gibt es tatsächlich immer mehr Kinder und Jugendliche, denen nur noch mit Medikamenten zu helfen ist?

Bachmann und seine Kollegen vermuten drei Gründe für den Trend: Zum einen seien Psychotherapien langwierig. Of fehle es in der Familie und bei den Patienten an der nötigen Motivation dafür. Zum anderen betreibe die Pharmaindustrie ein intensives Marketing für atypische Neuroleptika und werbe insbesondere in den USA für den Off-label-Gebrauch. Studien und Befragungen zeigen, dass US-Ärzte Kindern häufig zu schnell Psychopharmaka verschreiben. Zudem, so Bachmann, praktizierten immer mehr Pädiater sowie Kinder- und Jugendpsychiater. Eine Zunahme psychischer Störungen lasse sich dagegen nicht belegen.

Für den Heidelberger Pharmakologen Ulrich Schwabe hat die Marburger Studie, an der er nicht beteiligt war, einige Unschärfen. Der Mitherausgeber des jährlich erscheinenden Arzneiverordnungsreports weist darauf hin, dass die ausgewerteten Daten der Barmer GEK sich auf Packungen beziehen, deren Größe sich ständig ändere. Ihm zufolge wäre ein Vergleich der angenommenen mittleren Tagesdosis für die Auswertung aussagekräftiger gewesen. Zudem sei die jeweilige Behandlungsdauer der Patienten nicht angegeben.

"Die Interpretation der Daten in der Arbeit könnte auch etwas strenger sein", meint Schwabe. Zwar sei Risperidon bei Kindern zugelassen - aber nur für eine Kurzzeitbehandlung. Der Wirkstoff könne bis zu sechs Wochen verabreicht werden, und zwar bei anhaltender Aggression, wenn Kinder verhaltensgestört sind. Eingesetzt werden darf es Schwabe zufolge bei Kindern im Alter ab fünf Jahren und bei Jugendlichen mit unterdurchschnittlicher intellektueller Funktion oder wenn sie mental hinterherhinken.

Aus den zahlreichen Diagnosen aber, bei denen Risperidon laut den Barmer-GEK-Daten außerdem eingesetzt wurde, schließt Schwabe, dass es mit diesem Medikament sicher mehr Off-Label-Behandlungen gebe, als in der Marburger Studie diskutiert.

Krill-Öl könnte gegen Schizophrenie helfen

Mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren, die reichlich in Fischöl und Krill-Öl vorkommen, könnten bei gefährdeten Jugendlichen eine Schizophrenie abwenden. Wenn Teenager mit Frühsymptomen drei Monate lang Omega-3-Ergänzungspräparate einnahmen, reduzierte dies das Risiko, dass die Erkrankung ausbrach. Das berichten australische Forscher im Fachjournal «Nature Communications».

Die Diagnose einer Schizophrenie wird meist im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter gestellt. Betroffene können allerdings schon Jahre zuvor unter Symptomen wie Wahnvorstellungen oder paranoiden Gedanken leiden. Obwohl eine frühe Behandlung mit Antipsychotika die Krankheit positiv beeinflusst, warten Ärzte in der Regel ab: Denn nicht alle Betroffenen mit Frühsymptomen entwickeln eine ausgeprägte Schizophrenie, und die Medikamente rufen starke Nebenwirkungen hervor.

Omega-3-Fettsäuren könnten da eine Alternative sein: Patienten mit psychischen Störungen wie der Schizophrenie weisen einen Mangel dieser Fettsäuren im Blut auf, was die Wissenschaftler vermuten ließ, dass dasselbe für die Gehirnzellen gelten könnte. Bereits 2010 konnte das Team um Professor Dr. Paul Amminger von der Universität in Melbourne in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität in Wien zeigen, dass die Fettsäuren einen ersten Erkrankungsschub innerhalb von einem Jahr verhinderten.

Im Anschluss beobachteten die Wissenschaftler 71 der 81 Teilnehmer zwischen 13 und 25 Jahren für knapp sieben Jahre nach: Es zeigte sich, dass 10 Prozent der Jugendlichen, die Omega-3-Fettsäuren erhalten hatten, eine Psychose entwickelten im Vergleich zu 40 Prozent in der Placebo-Gruppe. Die Mehrheit der behandelten Teilnehmer zeigte sich im Verlauf nicht im Alltag eingeschränkt, war in Vollzeit beschäftigt und berichtete nicht mehr über psychotische Symptome.

«Wir könnten den Krankheitsverlauf deutlich beeinflusst haben», hofft Amminger laut der Zeitschrift «New Scientist». Welche Mechanismen dabei ablaufen, ist bislang noch unbekannt. Neuronale Schaltkreise werden in bestimmten kritischen Entwicklungsphasen geformt – dann sind sie besonders empfindlich, was einen idealen Zeitpunkt für eine Intervention darstellen könnte. Eine Einschränkung gibt es: Die Teilnehmerzahl war sehr klein. Um die Ergebnisse zu bestätigen, sind nun größere Studien erforderlich.

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